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Rassismus für alle!

Von Sabine Mohamed / 9. September 2013
picture alliance / Zoonar | Marek Uliasz

Es geht um nichts weniger als Macht! Es geht um die Sexismus- und Rassismusdebatte, die Anfang des Jahres intensiv in den Massenmedien, den sozialen Netzwerken und der Blogosphäre diskutiert wurden. Wer hat die Definitionsmacht? Warum ist die Debatte weiß, männlich, hetero, bürgerlich? Welche Verantwortung tragen die Medien, wenn es um die Abbildung gesellschaftlicher Realitäten geht? […]

Es geht um nichts weniger als Macht! Es geht um die Sexismus- und Rassismusdebatte, die Anfang des Jahres intensiv in den Massenmedien, den sozialen Netzwerken und der Blogosphäre diskutiert wurden. Wer hat die Definitionsmacht? Warum ist die Debatte weiß, männlich, hetero, bürgerlich? Welche Verantwortung tragen die Medien, wenn es um die Abbildung gesellschaftlicher Realitäten geht? Welche Pflicht haben die Menschen hinter den Medien und diejenigen, die sie konsumieren?

Auslöser für die Sexismus-Debatte waren der Essay von Annett Meiritz über den erlebten Sexismus bei den Piraten auf Spiegel Online sowie der Stern-Artikel von Laura Himmelreich zum „Herrenwitz“, durch den sie selbst Teil der Brüderle-Geschichte wurde. Und der #aufschrei im Internet, welcher unter dem gleichnamigen Hashtag Erfahrungen von sexualisierter Gewalt und Alltagssexismus auf Twitter sammelte. Es waren Tausende. Ein Thema, gesetzt von Redakteurinnen, die sich zum Subjekt ihrer Berichterstattung machten. In der Blogosphäre wurde das Thema von Aktivist_innen aufgenommen und multipliziert.

Im Gegensatz zur Rassismus-Debatte, die sich an Kinderbüchern entzündete und dann Eingang in die Medien fand. So schreibt Mekonnen Mesghena, Vater einer jungen Tochter, einen Brief an den Thienemann-Verlag. Darin beschwert sich Mesghena über die rassistischen Begriffe im Buch „Die kleine Hexe“ von Otfried Preußler. Tochter wie Vater wollen das Kinderbuch lesen, am liebsten frei von diskriminierender Sprache. Der Verlag antwortet Anfang des Jahres und gibt bekannt das N-Wort in der neuen Auflage (Juli 2013) zu streichen.

„Wir stehen als Verlag von Kinder- und Jugendliteratur in einer Verantwortung für die von uns veröffentlichten Texte. […]Sprache beeinflusst das Bewusstsein und wo ein diskriminierender Begriff vermieden werden kann, halten wir es für vernünftig ihn wegzulassen.“

Kinderbücher für alle. Das muss knallen. Die weiße, deutsche Mehrheitsgesellschaft wehrt sich – wer hat das Recht in „ihren“ Büchern Änderungen vorzunehmen? Im Feuilleton und in Kolumnen stolpere ich über: „Zensur“, „Politische Korrektheit“, „Gedankenpolizei“ und am Ende sah sich das deutsche Abendland gar bedroht: Sei das wünschenswert? Vieles davon lässt sich in der kompakten Zeit-Ausgabe vom Januar (4/2013) nachlesen, aber auch in anderen klassischen Medien. Literaturkritiker Denis Scheck etwa malte sich in Blackface-Manier an und bediente sich kolonialer Bilder im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Es waren reaktionäre bis rechtsnationale Reaktionen und die blanke Angst um den Machtverlust.

Am vergangen Montag, den 2. September 2013 wurden in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin genau diese Themen auf der Veranstaltung „Rassismus und Sexismus ab_bloggen“ behandelt und verhandelt. Sie war mit hochkarätigen Expertinnen besetzt. Und ich hatte die Freude mit ihnen Teil der Veranstaltung zu sein.

Rassismus und GEZ-Gebühren

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Live-Mitschnitt der Konferenz: „Rassismus und Sexismus ab-bloggen“. Alle Videos zur Konferenz hier

Jamie Schaerer, Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD Bund e.V.), hat das Perfide in ihrem Vortrag zur „(Anti-)Rassismus-Debatte in Deutschland“ treffend formuliert: Schwarze Menschen zahlen für den Rassismus mit ihren GEZ-Gebühren. Die Debatte um das N-Wort wurde ins Lächerliche gezogen, bekämpft und war verletzend. Und trotz der Unfälle und Pannen (tazlab 20/04/2013), blüht sie. Auch weil schwarze Perspektiven in den Medien wie die von der neunjährigen Ishema oder Simone Dede Ayivi Gehör finden und sich nicht mehr ignorieren lassen, analysiert Schaerer.

Die Rassismus-Debatte legt den Finger in die Wunde. Sie zeigt, wer und worüber wir reden können. Mehr noch, sie ist neu. Zum ersten Mal wird in deutschen Medien über Alltagsrassismus diskutiert. Sie fragt uns: in welcher Gesellschaft wollen wir leben? Und wer sind wir? Wer gehört dazu – wer wird ausgeschlossen? Vermutlich ist die radikalste Frage, die Frage nach einem Selbst. Handle ich rassistisch?

Die Sexismus-Debatte war wohlwollender, weil die Medien sie selbst gesetzt haben. Spätestens als die Spiegel-Online Chefin vom Dienst, Patricia Dreyer, titelte: „Stopp“, wir müssen über den Alltagssexismus reden, war klar, dieses Thema lässt sich nicht ignorieren. Zum Glück. Aber auch in der Sexismus-Debatte: Wo bleiben die Geschichten von queeren schwarzen, jüdischen, lesbischen Frauen*, Trans* of Color oder Frauen* mit Behinderungen/Migrationsgeschichten? Frauen ohne „Karriere“? Ist relevant nur das, was anschlussfähig ist? Was in die Talkshows passt? Was keine Bildstörungen erzeugt? Warum sind die Geschichten so weiß?

Auf dem Podium diskutierten wir über die Ein-und Ausschlüsse bei #Aufschrei. Diese Mechanismen analysierte auch Anna-Katharina Meßmer sehr treffend in ihrem Vortrag zur (Anti-)Sexismus-Debatte. Warum konnten Mehrfachdiskriminierungen nicht in dem Maß verhandelt werden? Das war auch eine meiner Fragen. Warum ließ sich der Hashtag #aufschrei nur mit bestimmten Sexismus-Erfahrungen füllen? Mitdiskutanin Kübra Gümüsay rief uns auf: „Lasst uns einen Hashtag für Alltagsrassismen suchen“. Und sie suchte mit vielen anderen tollen Menschen. Am Freitag, den 6. September um 15.55 Uhr wurde #SchauHin geboren. „Wir werden weiterschreiben, weitererzählen. Bis es aufhört.“ (Kübra Gümüsay).

#SchauHin

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Podiumsdiskussion auf der FES-KonferenzAlle Videos zur Konferenz hier

Wir müssen reden! Über den Rassismus und über Mehrfachdiskriminierungen in unserer Gesellschaft. Damit wir verstehen, was es bedeutet, wenn einer Freundin von mir „Sprich Deutsch, Du Schl**pe“ hinterher gerufen wird. Wenn ein Hausdetektiv mir zu folgen beginnt, sobald ich „sein“ Kaufhaus betrete und es erst wieder aufhört, wenn ich draußen bin.

Wenn Blogs dies fordern, dann hat das wenig mit „Hysterie“ oder gar einem „künstlichen“ Thema zu tun. Medien tragen Verantwortung, nicht allein weil sie mächtig sind, sondern weil sie eine Säule einer demokratischen, pluralen Gesellschaft sein sollten. Neben der Relevanz, die unbestreitbar ist, stellt sich auch die Frage: Wie weiß ist der Blick der Medien? Wird dieser reflektiert oder verschwindet er hinter dem Begriff der Objektivität? Wie viele Perspektiven hat eine Redaktion? Ist sie tatsächlich eine der sozio-homogensten Arbeitsbetriebe im Land? Wenn ja, warum?

Nicht wir – People of Color, schwarze, nicht-weiße Menschen müssen alleine erklären, was Rassismus ist. Weiße müssen lernen sich zu positionieren und Haltung zu zeigen. Wir leben in einem rassistischen System. Das ist der erste Satz. Als zweites stellt sich die Frage nach einem Selbst und der Verantwortung. Wir sind alle betroffen. Damit Rassismus bekämpft werden kann, muss Alltagsrassismus anerkannt werden – jenseits der imaginierten rechten Ränder und dem Mythos einer rassismusfreien Mitte.

2 Antworten auf „Rassismus für alle!“

  1. Von Barbara Loch-Braun am 9. September 2013

    Danke:-) ich unterstütze euch sehr,.weiss aber das sich viele viele diesem Thema nicht stellen wollen…weitermachen!!!!

  2. Von Sharon Dodua Otoo am 18. September 2013

    Ich möchte mich auch bei der Autorin für diesen Beitrag bedanken. Anscheinend können über diesen Themen nicht genug geschrieben oder gesprochen werden. Die Debatte muss unbedingt weiter laufen, bis es endlich bei uns allen ankommt, dass um eine andere Person oder Personengruppen zu diskriminieren, keine böse Absicht erforderlich ist. Es reicht quasi, wenn wir uns nicht kritisch mit den Machtstrukturen (wer profitiert? wer nicht?) in Deutschland auseinandersetzten.

    Lesen hilft! Darum bedanke ich mich bei Sabine für diesen tollen Text!

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