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Wir müssen reden

Von Barbara Tönnes / 26. Juni 2014
picture alliance / Westend61 | Uwe Umstätter

Bikulturelle Beziehungen haben es schwerer als monokulturelle. Ansichten, Einstellungen und Traditionen, die als selbstverständlich angenommen worden sind, werden auf den Kopf gestellt. Aber das lohnt sich. Ein türkisch-deutscher Erfahrungsbericht. Unser erster Streit entlädt sich an der Kasse eines Kölner Supermarktes. Nuh und ich haben herumgealbert, sind verliebt durch die Gänge geschwirrt, Arm in Arm und […]

Bikulturelle Beziehungen haben es schwerer als monokulturelle. Ansichten, Einstellungen und Traditionen, die als selbstverständlich angenommen worden sind, werden auf den Kopf gestellt. Aber das lohnt sich. Ein türkisch-deutscher Erfahrungsbericht.

Unser erster Streit entlädt sich an der Kasse eines Kölner Supermarktes. Nuh und ich haben herumgealbert, sind verliebt durch die Gänge geschwirrt, Arm in Arm und mit viel zu vielen Küssen für einen so trostlosen Ort. An der Kasse löst er die Umarmung plötzlich und drückt mich weg. „Nicht vor den alten Türken“, flüstert er und deutet auf die Schlange hinter uns.

Vor „seinen Leuten“ wolle er keine öffentlichen Zärtlichkeiten austauschen, das sei nicht angemessen, „das könnte meine Oma sein“. Mir dämmert, dass unsere Beziehung vor ungewöhnlichen Herausforderungen stehen wird.

Nuh ist in Köln geboren und aufgewachsen, seine Familie aber kommt aus Ostanatolien, sie sind gläubige Moslems. Ich bin katholisch und habe deutsche Eltern. Wir lernen uns an Karneval kennen, Peter Pan und die Katze, sturzbetrunken zwischen zwei Kneipen. Kulturelle Differenzen sind da nicht zu erkennen. Nuh und ich schmieden schnell Pläne: Hochzeit, am besten doppelt, türkisch und deutsch, drei Kinder, ein Haus im Rheinland.

Sich der Differenzen klar werden

„Ich möchte einem bikulturellen Paar die rosarote Brille in der Verliebtheitsphase nicht abspenstig machen, denn sie ist nötig, um sich auf den Anderen einzulassen, um vor allem am Anfang der Beziehung Gemeinsamkeiten zu finden”, sagt Martin Merbach, Dozent am Evangelischen Zentralinstitut für Familienberatung in Berlin und Paarberater beim Verband binationaler Familien und Partnerschaften. „Aber es ist wichtig, sich der Differenzen klar zu werden.”

Bald erschüttern tägliche Streitereien über Grundlegendes unsere großartigen Zukunftspläne. Nuh kann nicht akzeptieren, dass ich vor ihm mit mehreren anderen Männern außerhalb von Beziehungen geschlafen hatte, obwohl er selbst kein Kind von Traurigkeit war. Ibrahim Rüschoff, ein Psychotherapeut, der viele muslimische und interkulturelle Paare betreut, findet deutliche Worte für dieses Problem. „Wenn der Mann der Meinung ist, dass dieser Lebenswandel etwas ist, dass die Ehre der Frau mindert, und Sie als Frau diese Sicht als verletzend empfinden, sollten Sie sich ernsthaft fragen, ob dieser Mann Ihr Partner sein kann.“ Kollege Martin Merbach bekräftigt: „Man kann immer versuchen, Kompromisse zu finden, aber manchmal gibt es keine Kompromisse. Manche Unterschiede kann man, wenn überhaupt, nur aushalten.“

Fehlender Realismus

Aus seiner Beratungserfahrung weiß Ibrahim Rüschoff, dass in vielen interkulturellen Beziehungen der Realismus fehlt. Vor der Ehe seien Paare geneigt, Probleme nicht scharf genug wahrzunehmen. „Viele denken: Ich muss ihn nur genug lieben, dann wird er sich ändern“, sagt Rüschoff. „Doch Sie können Ihren Partner nicht erziehen. Heiraten Sie kein Wunschbild.“ Aber das gelte natürlich auch für monokulturelle Beziehungen.

Nuh und mir fällt es oft schwer zu unterscheiden, wann wir uns streiten, weil wir verschiedene Persönlichkeiten haben, und wann kulturelle Eigenarten Ursache sind. „Es ist wichtig, kulturelle von persönlichen Problemen zu trennen“, meint Jeannette Ersoy, Sprecherin des Verbands binationaler Familien und Partnerschaften. „Wenn man emotional verletzt ist, ist man geneigt, offensichtliche Dinge zu suchen und zu sagen: Ist ja klar, dass du so reagierst, weil du Türke bist, oder weil du Deutsche bist. Aber so einfach ist es nicht.“

Richtig kompliziert wird es erst werden, wenn Kinder dazukommen. Taufe oder Beschneidung? Beides? Nichts? Auch darüber diskutieren Nuh und ich, aber die Lösung verschieben wir auf „später“. Uns beiden ist unsere Religion zu wichtig, als dass einer von uns auf sie verzichten will. Jeannette Ersoy rät uns davon ab, die Diskussion aufzuschieben. „Bikulturelle Beziehungen brauchen einen hohen Grad an Reflexion. Differenzen lösen sich nicht einfach so auf und müssen möglichst bald diskutiert werden.“ Auch Psychotherapeut Rüschoff drängt. „Viele Sachen müssen unbedingt vor der Ehe besprochen werden“, sagt er. „Bestimmte Vorstellungen wie das Rollenverständnis werden leider gar nicht diskutiert, weil sie für den jeweiligen Partner selbstverständlich sind. Dann gibt es nach der Hochzeit die böse Überraschung.“

Nuh und Barbara haben ähnliche Interessen, aber verschiedene kulturelle Hintergründe. Ihre Fahrräder am Rhein in Köln.  (Foto: Barbara Tünnes)
Nuh und Barbara haben ähnliche Interessen, aber verschiedene kulturelle Hintergründe. Ihre Fahrräder am Rhein in Köln. (Foto: Barbara Tönnes)

Verfestigte kulturelle Muster

Über grundlegende Ansichten darüber, wer wann welche Aufgabe in der Familie übernimmt, haben Nuh und ich tatsächlich noch nicht geredet. Männer aus dem orientalischen Kulturkreis denken laut Rüschoff vor allem rollenorientiert und nicht aufgabenorientiert. „Der Mann ist für die Versorgung der Familie zuständig, die Frau für den Haushalt.“ Das habe allerdings – gegenüber der herrschenden Meinung – nichts mit religiösen Bestimmungen zu tun. „Der Islam wird oft als Waffe, als Machtwerkzeug, von einem der Partner genutzt, um sich unangreifbar zu machen, aber das ist nicht richtig. Rollenbilder basieren vor allem auf kulturellen Faktoren und sind in den verschiedenen sozialen Schichten sehr unterschiedlich“, so Rüschoff.

Die kulturellen Muster seien extrem verfestigt, deshalb sei es auch wahrscheinlich, dass jemand wie Nuh, der in Deutschland sozialisiert wurde, diesen anhängt. „Der Lack ist sehr dünn. Wir werden noch ein oder zwei Generationen brauchen, um uns von bestimmten kulturellen Haltungen zu lösen“, erklärt Rüschoff. Gerade bei persönlicher Unsicherheit würde vor allem auf bekannte Muster zurückgegriffen, die man von den Eltern vermittelt bekommen hat. Martin Merbach bestätigt: „Wenn einer der Partner mit einem bestimmten Rollenverständnis aufgewachsen ist, kann er sich sehr rational Mühe geben, dieses zu überwinden, aber es kann immer als Bumerang zurückkommen.“

Neben potentiell unterschiedlichen Ansichten über Gleichberechtigung und Rollenverteilung gibt es noch eine Streitquelle: die Familie. Laut Ibrahim Rüschoff ist kollektives Denken in türkischen Kulturkreisen sehr tief verwurzelt. „Deshalb muss man die Partnerschaft, und vor allem die Ehe, als ein gemeinsames Projekt wahrnehmen, bei dem die Einflüsse von außen, etwa von der Familie, beherrschbar bleiben.“

Mit der Familie von Nuh habe ich bisher keine Probleme. Obwohl alle seine Verwandten türkische Partner haben, werde ich als Deutsche akzeptiert. Aber wird das immer so sein? Nuh macht mir sehr früh klar, dass seine Familie bei der Erziehung unserer Kinder definitiv mitreden werde. „Bei Türken mischt selbstverständlich immer die Schwiegermutter mit“, sagt Ibrahim Rüschoff. „Gibt es dann Meinungsverschiedenheiten, gerät der Mann in einen Solidaritätskonflikt zwischen Frau und Mutter.“ Jeannette Ersoy sieht in einer potentiellen Ablehnung der Beziehung von außen eine Bereicherung: „Ressentiments können auch zusammenschweißen.“

Neue Perspektiven

Wenn uns erst Ressentiments zusammenschweißen müssen, wenn das alles so schwierig ist – warum dann überhaupt so eine komplizierte Beziehung? „Bikulturelle Beziehungen sind nicht per se zum Scheitern verurteilt“, sagt Ersoy. In erster Linie hätten sich zwei Seelen gefunden, die sich verwandt fühlen. Die ganz großen Probleme bleiben Nuh und mir ja auch erspart: Wir haben die gleiche Muttersprache, ich kann schon gut Türkisch, er hat einen deutschen Pass und ist deshalb rechtlich nicht von unserer Beziehung abhängig.

„Wenn man sich auf so eine interkulturelle Beziehung einlässt“, meint Martin Merbach, „kann man faszinierter sein.“ Tatsächlich, ich bin schon sehr fasziniert. Ich bin sehr dankbar für den Zugang zu einer neuen Kultur samt ihrer Sprache, Traditionen und Eigenarten. Ich hinterfrage meine eigene Lebenswirklichkeit. Ich fühle mich durch und durch bereichert.

Bikulturelle Beziehungen können laut Merbach Vorreiter der Globalisierung sein. „Mit zwei Menschen aus verschiedenen Kulturen kommen auch unterschiedliche Familiensysteme zusammen, die sich unter dieser Beziehung entwickeln können.” Die völlig neuen Perspektiven, die Nuh und ich durch unsere Liebe bekommen, gehen nur eben mit einem beträchtlichen zusätzlichen Aufwand einher. Nuh, wir müssen reden.

2 Antworten auf „Wir müssen reden“

  1. Von Anna am 26. Juni 2014

    Danke liebe Autorin!
    Bei mir ist der kulturelle Unterschied vermeintlich noch geringer, nämlich die Verbindung von deutsch und deutsch mit polnischer Herkunft. Trotz dessen müssen immer wieder überraschenderweise Themen ausdiskutiert werden, von denen ich das nicht gedacht hätte, wie der Stellenwert der Familie. Ich wäre ohne diesen Artikel nie auf kulturelle Unterschiede gekommen. Danke. Auch wir müssen jetzt reden.

  2. Von Valerie am 27. Januar 2018

    Wahnsinn die Erkenntnis, das bei unterschiedlichen Kulturen, Glaube und Stellenwert der Frau, „Redebedarf“ besteht.

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