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Fashion Week: Schau! Mich! An!

Von Barbara Tönnes / 14. Juli 2015
Foto: Barbara Tönnes

Mode im Alltag manifestiert sich für viele in Bikinimädchen-Werbung, ignorierten Fashionblogs und verschnörkelten Medienberichten über irgendwelche Schauen in Paris, London, Mailand – und Berlin. Was auf der Berliner Fashion Week tatsächlich passiert, hat Barbara Tönnes für sagwas aufgeschrieben.

Die Fashion Week in Berlin. Zwei Mal im Jahr wird ein überdimensionales Festzelt vor das Brandenburger Tor gehauen, vor dem die 10b, die gerade aus Buxtehude auf Klassenfahrt in der großen weiten Hauptstadt ist, aufgeregt auf D-Promis und selbsternannte Fashionistas stiert.

Ein Fest für Schnorrer

In der vergangenen Woche war es wieder so weit: Vorne roter Filzteppich, hinten Bierzeltatmosphäre, aber ohne Bier, stattdessen mit Sekt. Kostenlos! Auf der Fashion Week schlägt nicht nur das Mode-, sondern auch das Schnorrer-Herz schneller, so auch meins.

Ich habe es irgendwie geschafft, mich als Presse zu akkreditieren, obwohl auf der Akkreditierungsseite eindeutig steht, dass nur Journalisten zugelassen werden, die für ein Medium berichten, dass das ganze Jahr lang Modethemen behandelt. Ein ganz klarer Fall für sagwas. Als Beweis meiner Modeaffinität reiche ich zwei Artikel ein, die ich vor vier Jahren für ein anderes Medium über die Fashion Week geschrieben habe. Congratulations! Your accreditation has been approved. Zumindest bin ich nicht eine der geschätzt 500 akkreditierten „Modeblogger“, die ihrer Mutter per Internet mitteilen, welche der elterlich finanzierten Blusen sie heute anhaben, und damit potenziell für die Fashion Week wertvoll.

So ganz kostenlos ist der Spaß nicht für mich, schließlich stehen 20 Euro Akkreditierungsgebühr an. Aber, rechne ich als ausgebildete Ökonomin schnell, das habe ich schnell durch den sogenannten Giftbag wieder raus, den man als Presse bekommt. Silber-knalloranger Turnbeutel, darin ein mobiles Aufladegerät für Handys, zwei Mal Nagellack, Wimperntusche, Haarspray, ein Notizbuch, eine Minidose Erfrischungsgetränk und eine Flasche Fruchtwein mit Plastikweinglas. Damit kann ich was anfangen. Und es gibt ja noch so viel mehr abzugrasen!

Nah an der Sekt-Vergiftung

Warten auf Franziska Michaels Schau vor dem „Me Collectors Room“. Es gibt wieder Sekt. (Foto: Barbara Tönnes)
Warten auf Franziska Michaels Schau vor dem „Me Collectors Room“. Es gibt wieder Sekt. (Foto: Barbara Tönnes)

An Tag 1 der Fashion Week (der eigentlich schon Tag 2 ist, denn Tag 1 habe ich geschwänzt), trinke ich meinen ersten Sekt um 9:45, den letzten gegen 22 Uhr. Dazwischen liegen ungefähr zehn weitere Sekts, dazu Weißweinschorlen und andere Erfrischungsgetränke. Neben dem ganzen Getrinke gehe ich auf fünf Schauen. Eine davon, die von Franziska Michael, findet in der neuen Fashion-Week-Location im „Me Collectors Room“ an der Auguststraße in Berlin-Mitte statt. Kunst statt Plastikplane, ganz nett, und es gibt immerhin auch Sekt.

Franziska Michaels Kollektion ist nicht unbedingt etwas für den Besuch bei Omama. (Foto: Barbara Tönnes)
Franziska Michaels Kollektion ist nicht unbedingt etwas für den Besuch bei Omama. (Foto: Barbara Tönnes)

Franziska Michael ist alles andere als Prêt-àporter und erinnert mich mal wieder daran, dass Designer eben in erster Linie Künstler sind, und nicht unbedingt Tragbares entwerfen wollen. Oder würdet ihr mit einer sexy Lederschürze oder einem Kunstrasen-Crop-Tops mit passenden Armstulpen durch euer oberbayrisches Heimatdorf spazieren wollen? Wie auch immer, das Publikum ist begeistert, ich fühle mich ahnungslos.

Herumstehen für das gute Image

Wieder zurück im Zelt labe ich mich an Frozen Yoghurt einer deutschen Airline (außerhalb der Lounges, die man nur mit Extra-Einladung oder Extra-Dreistigkeit betreten darf, gibt es leider nichts anderes kostenlos zu essen) und warte auf die nächste Show. Die Stimmung der anderen ist gut: Gesehen werden und Sehen ist hier das Motto, Auffallen die Devise. Je länger man also scheinbar beschäftigt in der Gegend herumstehen kann, desto besser. Bei Schauen gilt wie bei Konzerten: Je illustrer der Star, desto größer die Distanz zwischen geplantem und tatsächlichem Beginn. Rekord am ersten Tag: 30 Minuten Verspätung der zehnminütigen Show.

Auch kostenloser Sekt schmeckt irgendwann nicht mehr. (Foto: Barbara Tönnes)
Auch kostenloser Sekt schmeckt irgendwann nicht mehr. (Foto: Barbara Tönnes)

Das ist anstrengend, zumal ich mich noch nicht mal beim Warten hinsetzen kann. Die Sitzgelegenheiten sind rar gesät. Im Stehen sieht das Outfit eben auch besser aus, außerdem werden mehr Kalorien verbrannt. Oder sind das nur meine Vorurteile?

Schließlich habe ich mein Leid selbst gewählt. Den ersten Tag verbringe ich tatsächlich in Keilabsatzschuhen, angeblich die gemütlichsten aller Absatzschuhe. Als Esther Perbandt um 22 Uhr ihre Kollektion zeigt, eingeläutet von Operngesang, bin ich schon völlig am Ende. Dabei gibt es noch so viel zu sehen: Mit Bent Angelo Jensen läuft sogar ein Designer (Label: Herr von Eden) als Model. Ein anderes männliches Model will seiner Rolle als laufende Kleiderstange erfrischenderweise gar nicht entsprechen, sondern feiert sich mit Fausthieben auf die eigene Brust vor allem selbst.

Erschöpfung an Tag 2

Am nächsten Tag verpasse ich erstmal die Press Vernissage des Hauptsponsors, zu der ich mich noch extra selbst eingeladen hatte. Ich! Kann! Nicht! Mehr! Dabei bin ich noch nicht mal zu den nächtlichen Fashion-Get-Togethers eingeladen. Wäre ich es: Kein Aufputschmittel der Welt würde mich durch den Tag bringen.

Den beginne ich wieder mit Sekt (diesmal nach 11 Uhr) und mit Annelie Schubert, einer Wahlberlinerin, die ihre erste Kollektion präsentiert. In einem kurzen Film vor der Show erläutert sie ihr Thema: Aprons, also Schürzen. Aha. Sieht überraschend gut aus, aber mit Sommermode, die eigentlich präsentiert werden soll, hat das nicht so viel zu tun. Die schweren Wollstoffe in verschiedenen Lagen könnte man höchstens im skandinavischen Sommer austragen. Obwohl: Der Klimawandel ist unter uns, also wer weiß, was 2016 ist.

Sommer bei Dimitri: Schön, aber teuer. (Foto: Barbara Tönnes)
Sommer bei Dimitri: Schön, aber teuer. (Foto: Barbara Tönnes)

Achtung, VIPs

Dimitrios Panagiotopoulos glaubt noch nicht so sehr an den Klimawandel, zumindest zeigt er unter seinem Label Dimitri echte Bikinis für einen echten Sommer. Würde ich mir sogar kaufen, wären sie nicht unbezahlbar. Es gibt allerdings unter den Zuschauern wahrlich kaufkräftigere Menschen als mich, zumindest, wenn man dem Blitzlichtgewitter am Rande des Laufstegs Glauben schenkt. In einer Email des für das Label zuständigen Agentur erfahre ich im Nachgang der Schau: „Unter den anwesenden Gästen befanden sich unter anderem die deutschen Topmodels Eva Padberg und Franziska Knuppe, Mirja du Mont, Marie Nasemann, It-Girl Sophie Hermann, Schauspieler Tom Payne („Der Medicus“) mit Freundin Jennifer Akermann, Jenny Elvers, Moderatorin Bonnie Strange und Fashion Bloggerin Maja Wyh.“

Die Damen in der ersten Reihe sollte man wohl kennen. (Foto: Barbara Tönnes)
Die Damen in der ersten Reihe sollte man wohl kennen. (Foto: Barbara Tönnes)

Für die Red-Carpet-Berichterstattung bin ich definitiv nicht geeignet, ich kenne die Hälfte der Namen nicht, geschweige denn kann ihnen ein Gesicht zuordnen.

Erklärtes Ziel auf jeder Schau: Der Goodie-Bag

Ich glaube inzwischen definitiv an die Macht der Dreistigkeit und lasse mich mit meiner „Free Seating“-Karte zielsicher in der reservierten dritten Reihe nieder, der letzten Reihe, in der es noch Goodie-Bags gibt. Je nach Sponsorennähe der Designer liegen in jeder Show Tüten bereit, mit deren Inhalt man teilweise eine ganze Drogerie ausstatten könnte. Bei Dimitri gibt es Lipgloss, Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 30, „Bodywash“ mit Orange und Bergamotte, sowie Einmaltattoos. Auch wenn es niemand zugeben würde: Diese Tüten sind jedes Mal wie ein kleines Weihnachten.

Dementsprechend lang sind die Gesichter am letzten Tag der Fashion Week, als beim israelischen Designer Shai Shalom nichts außer Reserviert-Schildchen auf den Plätzen liegt. Dafür überrascht der Designer mit dem fragwürdigen Logo (seine Initialen sind kreuzartig angeordnet) musikalisch: Statt dem üblichen Techno-Hip-Hop-Gewummere präsentiert er seine Kleidung zu einer romantischen Schnulze.

Die schläfert mich so ein, dass ich die restlichen vier Schauen, zu denen ich an dem Tag eingeladen bin, großzügig verpasse. Kein Sekt, Bikini, Goodie-Bag und It-Girl der Welt trennen mich noch von meinem Bett. Ich habe genug gesehen.

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