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ÜBER FLÜCHTENDE BERICHTEN – ABER WIE?

Von Europa Konferenz / 12. Juli 2016
Nach der Silvesternacht in Köln überschritten einige Medien die Grenze zwischen Information und Suggestion.
Foto: sagwas

Der Pressekodex definiert ethische Maßstäbe für journalistisches Arbeiten. In der Flüchtlingsdebatte häuften sich Beschwerden beim Presserat wegen unsachlicher Berichte. Über die Frage, ob und wann berichtet werden muss, wurde nach der Köl­ner Silvesternacht heftig gestritten.

Moritz Tschermak vom medienkritischen Portal BILDblog ist sich sicher: »Zum Thema Geflüchtete bieten die deutschen Medien die volle Bandbreite. Von links-liberalen bis hin zu rechtspopulistischen Meinungen ist alles zu finden.« Seinen Eindruck teilt auch Yvette Gerner, Chefin vom Dienst der ZDF-Chefredaktion: »Unser Angebot umfasst Korrespondentenberichten von Europas Grenzen, Sendungen über die mit dem Thema verbundenen Ängsten sowie eine kritische Analyse der Integrationspolitik.«

Öffentliches Interesse versus Sicherheit

Wann Medien bei dem Thema die Grenzen überschreiten, ist eine feine Gradwanderung. Fragwürdigen Berichterstattungen lägen vor allem Recherchefehler zugrunde, die auch bei anderen Themen vorkämen, sagt Moritz Tschermak. Er befürchtet jedoch, dass einige Formate sich »nicht zu schade seien«, für gute Klickzahlen sensationell zu titeln und damit »dem rechten Milieu Futter bieten.« Doch Moritz Tschermak spricht sich ebenso wie Yvette Gerner gegen eine Vorverurteilung der Privatmedien aus. Diese sagt: »Auch die Privatsender leisten journalistisch saubere Arbeit und behandeln das Thema Flucht sehr sachlich. Sie tendieren aber manchmal dazu, größere Spitzen zu publizieren.« Eine andere Frage sei, welche Bilder zum Thema angemessen sind. »Das Fernsehen sucht immer die stärksten Bilder. Die Redaktionen des ZDF diskutieren deshalb immer täglich in mehreren Sitzungen, wie die richtige Auswahl und Balance gelingt.«

Besonders ein Gespräch mit Geflüchteten kann für diese gefährlich werden, weiß Tschermak. Eine Richtlinie des Pressekodex besagt, dass die Nennung von Namen oder Fotoveröffentlichungen gefährlich für Betroffene sein können. Dies gelte nach Einschätzung von Moritz Tschermak insbesondere für Geflüchtete. »Ich habe die Hoffnung, dass sowohl Journalisten wie Interviewpartner einschätzen können, was ein Beitrag für die Beteiligten bedeutet. Kein Artikel der Welt ist es wert, einen Menschen in Gefahr zu bringen«, sagt Moritz Tschermak. Insgesamt habe er den Eindruck, dass die Medien bereits darauf achteten, wenn nötig Namen zu ändern oder das Gesicht des Geflüchteten unkenntlich zu fotografieren. »Doch wenn man wissen will, was Geflüchtete verloren haben, müssen Journalisten diese Menschen erzählen lassen.«

Obwohl der Journalismus vor keinem Thema die Augen verschließen sollte, stand die Berichterstattung über die Vorfälle in der Kölner Silvesternacht unter Verdacht. Der CSU-Bundestagsabgeordnete und frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich sprach gar von einem »Schweigekartell« und angeblichen »Nachrichtensperren«. Im Fokus der Kritiker*innen standen insbesondere die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. »Es gibt keine Tabus in der Berichterstattung – auch nicht beim Thema Flüchtlinge. Wir haben uns dieser Thematik von Anfang an auch kritisch genähert«, betont Yvette Gerner vom ZDF. »Aber natürlich sind Journalisten Menschen – und nicht perfekt. Es war ein Versäumnis, dass wir – anders als auf heute.de und im heute-journal in der heute-Sendung um 19 Uhr nicht über die Vorfälle berichtet haben. Das haben wir auch öffentlich eingeräumt. Selbstverständlich haben wir dieses Thema dann in den folgenden Wochen intensiv begleitet.«

Fakten statt Gerüchte

Moritz Tschermak findet, dass eine zurückhaltende Berichterstattung über Geflüchtete, die in Straftaten verwickelt sein könnten, populistischen Ideen von einer „Lügenpresse“ in die Karten spiele. »Auch ich hatte das subjektive Gefühl, dass in vielen Medien das Thema relativ spät aufkam. Jedoch ist eine abwartende Berichterstattung bei nicht gesicherter Faktenlage vielleicht doch die klügere.« Gerade in Bezug auf die Silvesternacht seien schnell viele ungesicherte Behauptungen aufgekommen. Natürlich dürfe die Presse nichts verschweigen, stellt Tschermak klar. Es sei aber höchst problematisch, mit Informationen vorzupreschen, die noch keine bestätigten Fakten sind.

Yvette Gerner und Moritz Tschermak wünschen sich deshalb für die Berichterstattung zum Thema eine saubere, faktenbasierte Recherchearbeit. »Zeit für solide Recherchen ist und bleibt im Journalismus unersetzlich, da dürfen wir uns nicht von der hohen Taktzahl der Tweets und Facebook-Posts treiben lassen«, macht die ZDF-Journalistin klar. »Wir haben etwa in dem Fall des deutsch-russischen Mädchens, das fälschlich behauptete, es sei entführt und vergewaltigt worden, vorsichtig reagiert. Wichtig war es zunächst die Fakten zu prüfen, mit den Behörden zu sprechen und nicht auf die Aufregung im Netz vorschnell zu reagieren.« Für Yvette Gerner ist es wichtig, dass Journalisten weniger aufgeregt und »mit kühlem Kopf« berichten. Sie dürften sich nicht gemein machen mit der Sache. »Aber sie müssen auch deutlich machen, dass es für komplexe Probleme keine einfachen Antworten gibt.«

Text & Foto: Madeleine Hesse

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