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Der Schönheitsfehler

Von Jan Mücher / 20. Juni 2017
picture alliance / ZB | Sascha Steinach

Der Körper dient als Sinnbild, als Maß für Erfolg. Er ist damit mehr Projektionsfläche als uns manchmal lieb sein kann. Das weiß auch die Modeindustrie und profitiert von den wachsenden Ansprüchen an uns selbst. Eine Gesellschaftskritik

„Love your curves“ riet die gewagte Werbekampagne des Textilunternehmens Zara dieses Frühjahr ihren Kundinnen selbstbewusst zu. Vorbei die Zeit der Magermodels? Wollte Zara auf den Zug der „Oversize-ist-sexy“-Bewegung aufspringen? Leider ja, muss man inzwischen sagen. Das Unternehmen hat sich selbst und auch seinen Kundinnen keinen Gefallen damit getan. Statt wohlgeformter fülliger Körper posierten die altbekannten dürren Laufsteg-Figuren auf den Plakaten. Kleidergröße XS, die Köpfe mit Photoshop überproportionalisiert, damit die Körper noch schmäler erscheinen.

Eigentlich wirkt es absurd: Den Mainstream kritisieren und gleichzeitig das Ideal des Mainstream zu verkörpern. Models mit Kleidergröße 40 (eigentlich gesellschaftlicher Durchschnitt) gehören zur Ausnahme, höchstens 34 darf auf den gefeierten Laufstegen der Fashion-Weeks präsentiert werden, sei es Mailand, Berlin oder New York. Doch diese Art von PR geht besser auf als man annimmt. Wir wollen es nicht anders, könnte man meinen.

Die Industrie wächst, die Kleidergrößen schrumpfen

Wir, das ist die Generation Y. Ambivalent is typisch für uns. Wir trinken Faitrade-Kaffee „to go“ und werfen anschließend einen weiteren Pappbecher in den Müll, ohne groß darüber nachzudenken. Wir demonstrieren gegen die Schattenseiten des Kapitalismus und klappen in den Vorlesung unseren Apple-Rechner auf. An die kognitive Dissonanz haben wir uns längst gewöhnt: ein Zustand, in dem mehrere Gedanken, Wahrnehmungen oder Einstellungen sich widersprechen. Warum sollte das in der Mode anders sein?

In den allermeisten Fällen ist der erste Eindruck, den wir uns von anderen Menschen machen, ein optischer. Noch bevor wir ihn hören oder riechen, sehen wir ihn. Studien zufolge haben attraktivere Menschen es einfacher, gute Jobs oder schlicht bessere Bewertungen zu bekommen. Statt einen objektiven Maßstab zum alleinigen Kriterium zu machen, fließt unsere positive subjektive Wahrnehmung des Erscheinungsbilds in die Leistungsbilanz des Gegenübers ein. Dieses Phänomen nennen Forscher den Halo-Effekt. Und, seien wir ehrlich: Ein gutes, gepflegtes Aussehen erleichtert natürlich die Kontaktaufnahme. Ein schlanker, athletischer Körper steht nicht nur für Ästhetik. Er signalisiert Gesundheit, Disziplin, Wohlstand und damit allgemeinen Erfolg. In die Welt der Mode übersetzt: Eine Frau mit der Kleidergröße 34 auf einem Plakat eines großen Modelabels strahlt Erfolg aus.

Was automatisch kommt, will keiner haben

Insbesondere für den weiblichen (aber nicht nur für diesen) Durchschnittskörper wird damit eine Kleidergröße, werden Proportionen erstrebenswert gezeichnet, die wenig realistisch ist und eher fernab von dem, was zwischen Ende des 16. bis Ende des 18. Jahrhunderts „en vogue“ war. Während des Barock-Zeitalers galt nämlich die Formel: Dick ist sexy. Eine gewisse Körperfülle repräsentierte ein Leben im Überfluss, wo niemand darben muss, geschweigendenn körperlich hart arbeiten. Eine deutlichere Abgrenzung zu den Leibeigenen, die von der Hand in den Mund lebten und an ihren muskulösen, oft von langen Tagen auf sonnensatten Feldern gebräunten Körpern und schmutzigen Funktionskleidern zu erkennen waren, war kaum möglich. Insgesamt konnten sich jedoch nur wenige Menschen dauerhaftes Dicksein überhaupt leisten.

Heute ist es einfacher, einen untrainierten Körper zu haben als athletisch auszusehen. Körperliche Anstrengung findet in vielen Arbeitsprozessen nicht mehr statt. Ernährungszusatzstoffe geben dem Organismus mehr Energie als er in der Regel braucht. Generell essen wir – vor allem hier in der westlichen Welt – mehr. Was gleich geblieben ist, ist das Verlangen nach etwas, das schwer zu haben ist. Unabhängig davon, was objektiv gesund ist.

Unterliege auch ich als Mann diesen körperbesessenen Normenvorstellungen? Sicher. Der Schlankheitswahn macht weder vor heterosexellen und schon gar nicht vor schwulen Männern wie mir Halt. Dass Dating-Apps den Bodytyp abfragen, ist daher nur konsequent. „Suche athletische Männer“ – kein Problem! Ich weiß nicht genau, wie sehr ich mich selber unter Druck gesetzt fühle, dem Ideal zu entsprechen und von nun an nur noch mit Six Pack durch die Welt zu laufen. Aktiv bestimmt nicht, dazu bin ich zu selbstbestimmt unterwegs. Aber unterbewusst? Jedenfalls habe ich als Single mehr Sport getrieben.

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