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Nicht mit- und nicht ohne einander

Von Sebastian Krieger / 4. Oktober 2017
picture alliance / imageBROKER | Marco Simoni

Geht es um Wirtschaft und Politik, kommen in der öffentlichen Debatte vor allem Ökonomen zu Wort – statt Philosophen. Dabei entstammt die Ökonomie der Philosophie. Ein Gespräch mit dem Philosophen Matthew Braham und dem Ökonomen Johannes Becker.

sagwas: Ist Ökonomie ohne Philosophie möglich, Herr Becker?

Becker: Ganz klar: nein. Ich verstehe ökonomische Theorie als Unterkategorie von Philosophie, als eine systematische Art und Weise nachzudenken und Begriffe zu bilden. Wir zehren sehr stark von der Philosophie. Im normativen Bereich der Ökonomik stützen wir uns auf philosophische Konzepte.

Ist Ökonomie ohne Philosophie möglich, Herr Braham?

Braham: Ich würde die Frage allgemeiner stellen: Ist Philosophie ohne empirische Wissenschaften möglich? Die Antwort ist: Ja natürlich, aber es ist brotlose Kunst. Wenn Philosophen sich mit politischen Fragen beschäftigen, dann ist die Auseinandersetzung mit Ökonomie unerlässlich. Wenn Philosophen gesellschaftliche Relevanz haben wollen, müssen sie sich mit empirischen Wissenschaften auseinandersetzen.

Matthew Braham ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Hamburg. (Foto: Privat)

Es gibt also durchaus fachliche Überschneidungen. Warum dominieren Ökonomen trotzdem die öffentliche Debatte?

Becker: Viele drängende Probleme sind ökonomischer Art, gerade in Zeiten der Finanzkrise. Diese Probleme haben natürlich auch politische und philosophische Implikationen. Aber wenn es darum geht, zu sagen, was passiert und warum es passiert, sind das Fragen nach ökonomischer Expertise. Das hat es weniger mit Dominanz zu tun, sondern vielmehr mit dem öffentlichen Interesse.

Haben Ökonomen auch deshalb mehr Macht im öffentlichen Diskurs, weil sie ihre Modelle vereinfachen und damit ihre Aussagen verkürzen?

Becker: Ein Modell ist selbst immer ein Versuch, die komplexe Realität so zu vereinfachen, dass man sie verstehen kann. In einer Diskussion steht hinter jedem Argument ein Modell, das die Grenzen dieses Arguments aufzeigt. Natürlich gibt es aber auch „Medienökonomen“, die zu stark vereinfachen und arg banale Argumenten bemühen.

Warum sind diese Ökonomen so präsent?

Becker: Das Problem ist, dass die prominenten Kolleginnen und Kollegen zu allem befragt werden. Entweder macht man dieses Spiel mit oder man äußert sich nur zu den Fragen, über die man lange nachgedacht hat und zu denen man wirklich etwas sagen kann. Dann verabschieden Sie sich aber aus den Medien.

Johannes Becker ist Professor für Finanzwissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und neben Clemens Fuest Co-Autor des kürzlich erschienenen Buchs „Der Odysseus-Komplex“ zur Eurokrise. (Fotos: Privat)

Wie frustrierend ist es, dass Philosophen selten angefragt werden?

Braham: Wenn philosophische Fragen aufkommen, werden in den Medien eher Theologen, Historiker, Soziologen, oder sogar Psychologen gefragt als darauf spezialisierte Philosophen. Ein Beispiel: Soll es Transfers aus Deutschland nach Griechenland geben? Ich glaube, Philosophen könnten etwas darüber sagen, ob es normativ begründbar ist, dass man diese Leistungen tätigen sollte. Haben wir Pflichten gegenüber Menschen in anderen Ländern? Unter welchen Bedingungen? Eine geordnete Debatte braucht Philosophen und nicht Vertreter der eben genannten Disziplinen. Das Problem ist, dass wir immer noch wenig ausreichend ausgebildete Philosophen haben, die einen konstruktiven Beitrag zu solchen komplexen Entscheidungsproblemen leisten können. Dies erfordert eine ganz spezielle Ausbildung.1

Becker: In der öffentlichen Debatte gibt es leider wenig Nachfrage nach Äußerungen, die etwas einordnen, aber es gibt eine große Nachfrage nach starken Meinungen. Clemens Fuest und ich haben die Erfahrung gemacht, als wir unser Buch geschrieben haben. Der Verlag hat uns zu radikaleren Thesen geraten, aber wir dachten, es sei hilfreich, wenn die Zusammenhänge erstmal erklärt werden. Ohne dass sich jemand hinstellt und sagt: Vergesst alles, was ihr wisst, wie sagen euch die Wahrheit. Diese Attitüde ist zutiefst unwissenschaftlich.

Trotz der Überschneidungen bleibt der Eindruck, Ökonomie und Philosophie sind sich nicht immer grün. Gibt es da eine Spannung?

Matthew Braham: Fachlich und thematisch überhaupt nicht. Sobald man Bereiche wie Wohlfahrtsökonomie oder Sozialpolitik betritt, beschäftigt man sich sofort mit philosophischen Problemen, die nach dem Sollen fragen. Das, was wir tun sollen, ist aber eingegrenzt von ökonomischen Möglichkeiten. Das Problem liegt in den Fachkulturen: Ökonomen untersuchen – traditionell gesehen – nicht die philosophischen Probleme des Sollens und Philosophen ignorieren die empirischen Zustände unserer Welt und verstehen meistens ökonomische Modelle nicht. Dies führt zu wenig fundierter und fragwürdiger Kritik an der Ökonomie. Das ist bedauerlich.

Johannes Becker: Ich sehe das genauso. Wenn unser Fach diszipliniert ausgeführt wird, gibt es da wenig Probleme. Es kommt selten vor, dass sich Ökonomen in Facharbeiten philosophisch betätigen, ohne dafür die nötige Kenntnis zu haben. Einige Kollegen halten diese Grenzen aber nicht ein, wenn sie sich an der öffentlichen Debatte beteiligen. Dann berät ein Ökonom nicht nur darüber, was die ökonomischen Begrenzungen des Möglichen sind, sondern sagt dazu noch, was wünschenswert ist.

Was können wir dagegen tun?

Braham: Wie gesagt liegt das Problem in der Ausbildung. Die Philosophen, die sich mit Gerechtigkeitsthemen auseinandersetzen, brauchen unbedingt eine moderne wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung, um zu verstehen, wie ökonomische Modellierung funktioniert und was ein Modell aussagt. Die großen Ökonomen, Nobelpreisträger wie Kenneth Arrow, Friedrich Hayek, James Buchanan, John Harsanyi und Amartya Sen waren auch führende Figuren in Ethik und Politischer Philosophie.

Becker: Ich höre derzeit häufiger die Forderung, dass die wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung viel mehr Geisteswissenschaften wie Geschichte, Philosophie oder Soziologie enthalten soll. Aber die Lösung liegt nicht darin, dass wir aus den Ökonomen jetzt auch kleine Philosophen und Soziologen machen. Universalwissenschaftler sind der heutigen Komplexität nicht mehr angemessen. Wir brauchen die Experten.

1

An der Universität Hamburg gibt es dafür einen Studiengang: den MSc Politics, Economics, and Philosophy (https://www.uni-hamburg.de/campuscenter/studienangebot/studiengang.html?1242230515)

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