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DebatteHeimat mal zwei?

Von Christina Mikalo / 13. November 2017
picture alliance / dpa Themendienst | Andrea Warnecke

Nicht nur im Fußball gibt es ihn: den Doppelpass. Auch viele Länder erlauben ihren Bürgern zwei Staatsangehörigkeiten – unter bestimmten Voraussetzungen.

Wlada Kolosowa fühlt sich deutsch. Sie hat deutsche Freunde, ein deutsches Abitur, eine deutsche Adresse. Dennoch hat sie einen russischen Pass – weil sie in Sankt Petersburg geboren ist. Kolosowa wünscht sich die zweite Staatsbürgerschaft: „Ohne Doppelpass ist mein Leben in Deutschland nur ein ‚Aufenthalt‘“ schreibt sie.

Doch Kolosowa steht die zweite Staatsbürgerschaft nicht zu. Im Jahr 2014 war sie schon zu alt. Sie hat deshalb nicht von der damals in Kraft getretenen Doppelpass-Regelung profitiert. Mit dieser hatte die Große Koalition aus SPD und CDU die „Optionspflicht“ abgeschafft – eine Regelung, die es Kindern von Ausländern, die in Deutschland geboren wurden, vorgeschrieben hatte, sich spätestens mit 23 für eine Staatsangehörigkeit zu entscheiden.

Vor allem die SPD hatte die Optionspflicht kritisiert und für ihre Aufhebung gekämpft. „Menschen, die 23 Jahre hier gelebt haben, wieder auszubürgern – das passt einfach nicht mehr in unsere Zeit“, sagte der damalige Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann. „Wir brauchen keine Ausbürgerungen, sondern mehr Staatsbürger mit Rechten und Pflichten.“

Wie Seyran Ateş, Gülay Bedir und Charlotte Steiling im Rechtsmagazin Legal Tribune Online schreiben, hatte die Optionspflicht jungen Menschen oft „schmerzhafte Kopfzerbrechen über ihre Zugehörigkeit“ bereitet und sie „Identitäts- und Loyalitätskonflikte“ durchleiden lassen. Laut ZEIT waren davon potenziell 509.397 Kinder betroffen, die zwischen 1990 und 2012 geboren wurden. Ateş selbst hat sich einst für den deutschen und gegen den türkischen Pass entschieden – aus politischen Gründen, wie sie sagt. Dennoch glaubt sie, dass beide Pässe für viele Menschen ihre Lebensrealität und ihre Zugehörigkeit zu beiden Ländern abbilden.

Wer bekommt den Doppelpass?

Heute dürfen Kinder, von denen mindestens ein Elternteil eine nicht-deutsche Staatsbürgerschaft hat, die doppelte Staatsangehörigkeit ein Leben lang behalten – sofern

sie in der Bundesrepublik aufwachsen. Das heißt: Sie müssen bis zum 21. Lebensjahr mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt haben oder sechs Jahre hier zur Schule gegangen sein. Nachweisen können sie das zum Beispiel mit einem Schulabschluss oder einem Ausbildungszeugnis.

Auch Spätaussiedler, Aussiedler und Vertriebene aus dem Zweiten Weltkrieg, die in die Bundesrepublik zurückkehren, erhalten neben der jeweiligen ausländischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Seit August 2007 können sich auch EU-Bürger und Schweizer in Deutschland einbürgern lassen, ohne ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben.

Einen zweiten Pass dürfen auch politisch Verfolgte und anerkannte Geflüchtete tragen, bei denen die Herkunftsländer keine Ausbürgerung erlauben. Dazu zählen Marokko, Iran, Algerien, Syrien und die meisten lateinamerikanischen Staaten.

Gleiches gilt für Menschen, die von „unzumutbaren Bedingungen für die Entlassung aus der ausländischen Staatsangehörigkeit“ betroffen sind. Das sind zum Beispiel hohe Ausbürgerungsgebühren, die über dem Monatseinkommen des Eingebürgerten liegen.

John Riceburg profitierte von dieser Regelung. Die Ausbürgerung aus den USA hätte den Journalisten 2.350 Dollar gekostet, mehr als er im Monat verdiente.

1,6 bis 4,3 Millionen Doppelpässe

Inzwischen lebt Riceburg als einer von 1,6 bis 4,3 Millionen Doppelstaatlern in Deutschland. Wie viele es genau sind, weiß niemand. Laut dem Statistischen Bundesamt gibt nicht jeder, der einen Doppelpass besitzt, diesen auch bei einer Zählung an. Manche möchten sich von der politischen Situation im Herkunftsland abgrenzen. Andere wüssten gar nicht, dass sie eine zweite Staatsbürgerschaft besitzen.

Menschen aus Russland, Polen und der Türkei sind am häufigsten unter den Mehrstaatlern vertreten. Doch auch aus Kasachstan und Rumänien sind in den vergangenen Jahrzehnten viele Spätaussiedler nach Deutschland gekommen. Die meisten in der Bundesrepublik lebenden Menschen mit Doppelpass stammen aus anderen EU-Ländern.

Wie eine Studie des Forscher-Trios Joachim Blatter, Stefanie Erdmann und Katja Schwanke von der Universität Luzern zeigt, wächst die Akzeptanz der doppelten Staatsbürgerschaft. Immer mehr Länder gestatten das Tragen zweier Pässe. 1980 haben 20 Prozent aller Staaten die Mehrstaatlichkeit erlaubt. Heute ist es rund die Hälfte der Länder. Von Südafrika über Israel bis nach Finnland kennt und gestattet man den Doppelpass.

Rechte und Pflichten

Wer in Deutschland als Doppelstaatler lebt, hat die gleichen Rechte wie alle anderen Bürger auch. Ein Deutsch-Grieche darf zum Beispiel sowohl in der Bundesrepublik als auch in Griechenland wählen.

Früher gab es für Doppelstaatler allerdings auch das Problem der doppelten Wehrpflicht. Bilaterale Abkommen und ein Vertrag des Europarats machten es jedoch oft möglich, die Ableistung des Wehrdienstes in einem Land durch das andere anerkennen zu lassen.

Seit es in Deutschland keine Wehrpflicht mehr gibt, verpflichten viele Regierungen junge Männer mit zwei Pässen wieder zum Dienst in der Armee.

Beim Reisen können Mehrstaatler beide Pässe vorlegen – jedoch sollten sie sich für einen entscheiden und nicht mal den einen, mal den anderen Ausweis zeigen. Wer das tut, empfindet möglicherweise das „Dazwischen-Gefühl“, das John Riceburg in seinem Artikel über die Mehrstaatlichkeit schildert: „Ich komme von hier, und ich komme von dort.“ So wie Wlada Kolosowa, die auch Puschkin, Blini liebt „und, ja, auch dieses irrationale Riesenland trotz seines Präsidenten.“



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