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ContraDas Volk wollte diese Regierung

Von Jan Mücher / 5. Februar 2016
picture alliance / dpa | Pawel Supernak

Es ist wichtig und richtig, dass die EU die europäischen Werte verteidigt – auch gegen den Mitgliedsstaat Polen. Dennoch müssen wir die Wahl der Polen respektieren und dürfen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger ankommen, meint Jan Mücher.

Schon im Herbst 2011 offenbarte Jarosław Kaczyński seine Absicht, den polnischen Staat verändern zu wollen. Wenige Stunden zuvor hatte er die Parlamentswahl gegen den Liberaldemokraten Donald Tusk verloren und galt für viele Beteiligte als politisch vollkommen erledigt. In seiner Rede nach der Wahl betonte er, dass Warschau „ein zweites Budapest“ werde – eine klare Anspielung auf den Regierungsstil des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der seit 2010 versucht, systematisch die Menschenrechte in Ungarn einzuschränken.

Tatsächlich kam es kurz nach Orbáns Wahl 2010 zu ähnlichen Szenarien wie in Warschau. Kurzerhand wurde ein Mediengesetz erlassen, das kritischen Journalismus stark erschwerte. Auch wurde die Verfassung zu Gunsten von Orbáns Macht geändert.

Viele Polen wollen diese Regierung

Kaczyńskis Rede vom Herbst 2011 klingt somit schon fast wie eine Kampfansage, eine Kampfansage gegen die Demokratie, die ihn als Verlierer dastehen ließ, und gegen ein Europa, das für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte steht. Da Kaczyński keinen Hehl aus seinen Absichten macht, sollten diese den polnischen Wählern auch bekannt gewesen sein.
Daher müssen wir einsehen, dass kein Geringerer als das polnische Volk selbst diese nationalkonservative Regierung mit einer Mehrheit ausgestattet hat. Sie wurde in einer freien und demokratischen Wahl gewählt. Es wäre zynisch zu behaupten, dass es sich bei dem Wahlergebnis um eine „Unaufmerksamkeit“ der Polinnen und Polen handelt. Ein großer Teil des Volkes will und wollte diese Regierung.

Das polnische Volk ist kein Volk, das ein autoritäres System aufgezwungen bekommen hat. Diese Regierung ist leider durch ein demokratisches Votum gewollt. Ein Eingriff der EU kann man daher keinesfalls unter Solidarität laufen lassen – denn wir sind nicht solidarisch mit den Polinnen und Polen, die diese Regierung gewählt haben.

Solidarität mit Opfern

Das bedeutet aber nicht, dass wir zusehen müssen, wenn Menschen leiden. Sobald es die ersten Opfer gibt, sollte es einen Aufschrei in der Welt geben. Es muss nicht Solidarität mit einem Volksvotum geben, sondern Solidarität mit den Opfern.

Besonders schade ist, dass es ausgerechnet einen der Musterknaben der Europäischen Union treffen muss. Lange hatte Polen eine stabile Demokratie etabliert, die gute Wachstumszahlen vorzeigen konnte und ein verlässlicher Partner in vielen europäischen Fragen war.

Die vergangene Wahl bedroht nicht nur die Demokratie in Polen, sondern auch die europäische Idee. Die Rechtspopulistinnen und Rechtspopulisten haben einen Grund bekommen, die Osterweiterung der EU 2004 in Grund und Boden zu reden. Sie benutzen die jüngsten Vorkommnisse in der polnischen Politik, um ihre völkischen Ideen für weite Teile des Bürgertums salonfähig zu machen. „Die Polen kriegen das Geld und verhalten sich so“ ist eine der häufigeren Parolen der vergangenen Tage.

Um dieser gefährlichen Entwicklung den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat die EU schon den wichtigsten Schritt getan. Sie hat ein faires Verfahren gegen Polen eingeleitet. Schließlich wollen wir unsere Werte auch nach Innen authentisch vertreten. Europa muss seine Werte verteidigen. in fa

Das Verfahren könnte die Glaubwürdigkeit der europäischen Idee erhöhen und das Interesse bei den Europäerinnen und Europäern für die EU stärken.

Vorsicht vor dem erhobenen Zeigefinger

Doch Deutschland muss aufpassen, nicht mit erhobenem Zeigefinger auf Polen zu zeigen und in einer Lehrmeistermanier das Wahlergebnis in Grund und Boden reden. Sicherlich gefällt das Wahlergebnis einem Großteil der deutschen Bevölkerung nicht, aber es wäre arrogant zu sagen, dass die Polen falsch gewählt hätten.

Wir haben nicht das Recht, ein demokratisches Wahlergebnis – auch, wenn es uns nicht passt – von oben herab auseinanderzunehmen. Ähnliches geschah schon im Januar 2015 in Griechenland. Das griechische Volk entschied sich gegen die Sparmaßnahmen und prompt gab es Stimmen aus Deutschland, die das Ergebnis als „falsche Wahl“ bezeichneten.

Genau diese Art und Weise sorgt für eine schlechte Dialogatmosphäre. Schließlich sollten alle Beteiligten am Runden Tisch respektiert und geachtet werden. Diese Fairness ist wichtig, besonders für ein Europa 2016.

 

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