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ContraEin falsches Signal zur falschen Zeit

Von Daniel Lehmann / 5. März 2015
picture alliance/dpa | Uli Deck

Die wehrhafte Demokratie hat in der Bundesrepublik Deutschland ihre historische Berechtigung. Ein Parteienverbot würde inzwischen aber mehr Schaden anrichten als verhindern – und das System schwach und bequem wirken lassen.

Seit der Jahrtausendwende steht das Thema Parteiverbot der NPD in schöner Regelmäßigkeit auf der Agenda von Politik und Medien. Wiederholt werden Reden gehalten, Diskussionsrunden geführt und Gesetzestexte auf ihre Anwendbarkeit geprüft. Diese inzwischen rund 15-jährige Debatte hat mich durch meine Schulzeit und mein Studium begleitet – und auch dort ihren Einfluss ausgeübt.

Im Politikunterricht am Gymnasium sollten wir wenige Jahre nach dem ersten gescheiterten Verfahren einmal einen Aufsatz darüber schreiben, ob wir ein Verbot befürworten oder nicht. Die ganze Klasse sprach sich dafür aus. In einem Seminar an der Hochschule stellte man unseren Kurs später vor dieselbe Aufgabe. Wieder wollte ausnahmslos jeder, dass die NPD aus dem Verkehr gezogen wird, auch ich. Heute bin ich anderer Meinung.

Keine Meinung darf ausgeschlossen werden

Dabei hat sich meine politische Gesinnung keineswegs geändert. Jede Stimme, die im Rahmen einer Wahl an eine rechte Partei geht, ist für mich eine zu viel. Trotzdem vertraue ich weiterhin auf die Demokratie und die mit ihr verbundenen Freiheiten. Wenn das Volk entscheiden soll, darf grundsätzlich keine noch so radikale Meinung ausgeschlossen werden, will man das Prinzip der freien Mitbestimmung nicht empfindlich aushöhlen. „Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen“, schrieb die englische Schriftstellerin Evelyn Beatrice Hall dazu passend einst über Voltaire.

Es war richtig, die Lehren aus der Weimarer Republik in eine streitbare, wehrhafte Demokratie münden zu lassen, die als äußerstes Mittel zu Verboten greifen kann, um die Würde des Menschen, die Grundrechte und die demokratische Ordnung zu schützen. Doch diese Werte sind von politischer Seite aus längst nicht mehr in solcher Gefahr, dass dieser Schritt notwendig wäre.

Ein Verbot als politisches Märtyrertum

Gefahr besteht vielmehr dadurch, dass die gegenwärtige Stärke des Systems verkannt wird und einer Meinungszensur gleichkommend Parteien verboten werden. In einer Zeit, in der politikverdrossene Menschen in Deutschland auf die Straßen gehen, sich vor einer Islamisierung fürchten und Mainstream-Medien als „Lügenpresse“ abkanzeln, könnte sich ein Parteiverbot beispielsweise der NPD als falsches Signal zur falschen Zeit erweisen.

All jene Zweifler und Verschwörungstheoretiker, die über korrupte Politiker herziehen und ein krankes System propagieren, würden sich bestätigt sehen und die NPD so ein politisches Märtyrertum erfahren lassen. Die Denker und Lenker aus dem rechten Spektrum sind in der Lage, aus einer solchen Niederlage Kapital zu schlagen und die Indizierung auf theatralische Weise zu instrumentalisieren. Der durch das Verbot gewünschte Effekt – er wäre womöglich am Ende ein gegenteiliger. Das gilt nicht nur im Fall der NPD.

Der Steuergelder-Irrtum

Ein beliebtes Argument für ein Parteienverbot ist das Einsparen von Steuergeldern. Schließlich werden politische Organisationen staatlich teilfinanziert. Die jährlich ausgezahlte Summe ergibt sich aus dem Erfolg einer Partei bei Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen, ihren Mitgliedsbeiträgen und den erhaltenen Spenden. Allerdings gibt es eine Obergrenze für diesen Zuschuss.

2014 war der Zuschuss bei rund 156 Millionen Euro für alle Parteien gedeckelt. Da die errechneten Mittel für sämtliche Parteien das festgesetzte Gesamtvolumen aber regelmäßig deutlich übersteigen, blieben die Steuerausgaben bei einem Parteiverbot höchstwahrscheinlich unberührt. Nur die Verteilung unter den Parteien sähe etwas anders aus. Die Angst, mit seinem „persönlichen“ Steuergeld die „falsche“ Partei zu unterstützen, würde dadurch jedoch gemindert.

Der Frust geht vom Volk aus

Sobald ein direkter Zusammenhang zwischen den Morden des NSU und der NPD hergestellt werden kann und damit eine Partei eine greifbare Bedrohung darstellt, ist das ein Verbrechen, das bestraft werden muss und definitiv ein Verbot rechtfertigen würde. Doch damit wird stets nur eine Struktur entfernt, nicht jedoch das eigentliche Problem gelöst.

Eine Organisation wie Pegida beweist, dass eine nicht zu unterschätzende Anzahl an Bundesbürgern bestimmte Ansichten vertritt, die denen der NPD gleichen oder sich zumindest ähneln. Trotzdem ist nicht jeder Pegida-Anhänger auch gleichzeitig NPD-Wähler und nicht jeder rassistische Übergriff oder jede sonstige Straftat mit einer Partei in Verbindung zu bringen.

Mit Sicherheit ist die Propaganda von Parteien wie der NPD, den Republikanern oder der DVU insbesondere für junge Menschen gefährlich und potenziert rechte Meinungen. Die zuletzt so offen gezeigte Intoleranz hat ihre Ursachen aber eher im Frust über die gegenwärtige Politik und geht damit vom Volk aus.

AfD statt NPD

Daher käme ein Verbot in diesem Fall dem Abschlagen eines Kopfs der Hydra gleich. Die NPD ist nicht die einzige Partei, die einer rechtsorientierten Wählerschaft ein Zuhause bietet. Ohnehin ist der Einfluss der NPD in den vergangenen Jahren zusehends geschwunden. Erhielt die NPD bei der Bundestagswahl 2005 (nach zuvor nur 0,4 Prozent in 2002) erschreckende 1,6 Prozent der Stimmen, waren es 2009 noch 1,5 Prozent und bei der Wahl 2013 nur 1,3 Prozent.

Der Niedergang der NPD steht dem Aufschwung der AfD gegenüber. Die Alternative für Deutschland erhielt bei ihrer ersten Bundestagswahl auf Anhieb 4,7 Prozent der Stimmen und wäre damit fast in den Bundestag eingezogen.

Die Politik muss wieder greifbarer werden

Hier zeigt sich, dass ein Parteiverbot auf Dauer kein Allheilmittel sein kann. Die AfD ist realistisch betrachtet gefährlicher als die NPD, verbreitet sie doch teilweise sehr ähnliche Inhalte, jedoch in gemäßigtem Gewand. Resümiert man die Anstrengungen, die es brauchte, um gegen die NPD eine noch nicht einmal gesicherte juristische Handhabe vorweisen zu können, ist gewiss, dass man die AfD auf diese Weise niemals stoppen werden wird.

Die etablierten Parteien sind gezwungen, sich Herausforderungen dieser Art gemeinsam zu stellen. Politik muss wieder greifbarer, nahbarer werden. Bestimmte Entscheidungen brauchen Verständnis beim Wähler. Sonst mag man die Parteienlandschaft notfalls mit Verboten beschönigen, nicht jedoch die Menschen überzeugen.

Ein Verbot von Parteien mag in manchen Fällen eine vertretbare Entscheidung sein, bleibt aber vor allem immer eine bequeme.

 

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