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Kein Geld für neue Ideen

Von Camilla Lindner / 3. Juli 2014
picture alliance / PhotoAlto | L. Hamels & L. Racasse

Kultur gilt als wichtiges Korrektiv sozialer und politischer Verhältnisse innerhalb Europas. Trotzdem haben es freischaffende Künstler schwer: Um an europäische Förderprogramme zu kommen, müssen bürokratische Hürden überwunden und strenge Regeln eingehalten werden. Die meisten Fördergelder gehen an große Kunstinstitutionen. Mut, kreative Ideen und neue Denkmuster bleiben auf der Strecke. Boran Burchhardts Arbeitsplatz ist der öffentliche […]

Kultur gilt als wichtiges Korrektiv sozialer und politischer Verhältnisse innerhalb Europas. Trotzdem haben es freischaffende Künstler schwer: Um an europäische Förderprogramme zu kommen, müssen bürokratische Hürden überwunden und strenge Regeln eingehalten werden. Die meisten Fördergelder gehen an große Kunstinstitutionen. Mut, kreative Ideen und neue Denkmuster bleiben auf der Strecke.

Boran Burchhardts Arbeitsplatz ist der öffentliche Raum. Der Hamburger Künstler beklebt beispielsweise die Rückseite von Park- und Halteverbotsschildern. „Krank und ohne Papiere“ steht in 50 verschiedenen Sprachen auf den Aufklebern, die Burchhardt überall in Hamburg verteilt. „Damit will ich darauf aufmerksam machen, wie schlecht mit Menschen ohne Papiere umgegangen wird“, so Burchhardt. Doch so gut seine Aktion gemeint ist – um sie umzusetzen, musste Burchhardt viele Hürden überwinden. Finanzielle Unterstützung ist nur eine davon.

Vielen freischaffenden Künstlern fällt es schwer, sich finanziell über Wasser zu halten. Burchhardts Einkommen beispielsweise liegt weit unter jedweden Mindestlöhnen. „Würde ich meine Verdienste auf die Stunde herunterrechnen, verdiene ich rund 3,50 Euro“, erzählt Burchhardt. Viele Künstler bewerben sich um Stipendien aus EU-Töpfen, um ein monatliches Mindesteinkommen zu garantieren. „Als Kunststudent kann man relativ einfach an Stipendien kommen, nach dem Studium ist es aber sehr schwierig“, so Burchhardt.

Auf europäischer Ebene sind Kunst und Kultur noch nicht so etabliert, als dass es breite, nachhaltige Förderprogramme gäbe, die die einzelnen Künstler erreichen. Erst der Maastrichter Vertrag vom Jahr 1993 etablierte die europäische Kulturpolitik als Politikfeld der EU. In ihm verpflichtet sich die EU, kulturellen Aspekten in allen Bereichen der Politik Rechnung zu tragen – denn Kunst und Kultur haben einen Mehrwert für die Gesellschaft.

Kultur als Sinnträger

Laut Politikwissenschaftlerin Christine Landfried von der Universität Hamburg haben Kulturgüter einen Doppelcharakter. „Sie sind sowohl ökonomische Güter, also Leistungen oder Mittel, die indirekt gewisse Bedürfnisse befriedigen, als auch Sinnträger für Gesellschaften“, so Landfried. „Kultur regt zum Nachdenken an und fördert die Autonomie und Freiheit des Menschen.“ Gerade in einer globalisierten Welt spiele Kultur eine wichtige Rolle. „Sie kritisiert und hinterfragt Strukturen.“

Die Förderung dieser neuen Denkmuster ist noch mangelhaft. Aus EU-Förderprogrammen hat Burchhardt noch keine Unterstützung bekommen. „Die EU hat extrem strenge Regularien, allein schon bei der Bewerberung.“ 2009 bewarb Burchardt sich auf ein EU-Stipendium. Er wollte mit zwei von ihm bemalten Hamburger Minaretten auf einem LKW durch Europa und die Schweiz fahren, kurz nach dem Minarettverbot in der Schweiz. „Die Bearbeitung des 80-seitigen Förderantrages dauerte Monate. Eigentlich hätte ich eine Bürokraft gebraucht, um den Antrag vollständig und richtig auszufüllen.“ Letztlich schied Burchhardt sofort aus dem Auswahlverfahren aus, weil die Schweiz nicht zur EU gehört.

Keine Förderung für Freischaffende

„Ich weiß nicht, ob mein Projektvorschlag gefördert geworden wäre, hätte ich die Schweiz nicht durchqueren wollen“, erzählt Burchhardt. „Ich glaube eher nicht, denn als einzelner Künstler hast du fast keine Chance auf ein europäisches Förderprogramm.“ Nach Einschätzung von Burchhardt fördert die EU vor allem bekannte Kunstinstitutionen. „Absagen und Scheitern gehören zum Alltag eines freischaffenden Künstlers.“

Oft seien Stipendien auch nur auf kurze Zeiträume ausgelegt, was besonders bei internationalen Kunstprojekten problematisch ist. „Wenn du gerade die Denkmuster, Strukturen und Regeln der anderen Kultur verstanden hast, musst du schon wieder zurückreisen“, sagt Burchhardt. Das ist auch ein Grund, warum Burchhardt vor allem in Deutschland und nicht international aktiv ist.

Auch gewinnen laut Burchhardt oft „mittelmäßige“ und „konventionelle“ Projekte die Stipendien. „Die Stipendiengeber wollen nicht zu viel riskieren. Bei Kunst riskiert man schnell, voll auf die Nase zu fliegen“, sagt Burchhardt. „Die europäische Kulturpolitik definiert Kunst zu eindeutig als ökonomisches Gut und erkennt die Sinnstiftung von Kultur nicht an“, bemängelt Christine Landfried.

Prof. Dr. Christine Landfried, Politikwissenschaftlerin. (Foto: privat)
Prof. Dr. Christine Landfried, Politikwissenschaftlerin. (Foto: privat)

„Künstlerprogramm für Politiker“

„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Politiker höherer Positionen durch ihren Beruf oft verstellt sind. Kunst erzeugt bei ihnen keine unmittelbare Wirkung mehr, dabei ist gerade die Erzeugung von Unmittelbarkeit das Ziel von Kunst“, sagt Boran Burchhardt. Kunstschaffende und Politiker passen laut Burchhardt deshalb nicht zusammen. Ein „Künstlerprogramm für Politiker“ könnte nach Burchhardt Abhilfe schaffen: Künstler versuchen, Politikern Kunst nahezubringen. „Man trifft sich zum Beispiel einen Nachmittag im Monat und spricht miteinander. Dann würde sich die Einstellung von Politikern gegenüber Kunst wahrscheinlich ändern – und damit ihre Entscheidungen.“

Vielleicht kann Kultur dann sogar die Finanzkrise lindern. Boran Burchhardt meint, dass Kultur gerade in von der Krise gebeutelten Ländern wie Griechenland oder Spanien eine wichtige Rolle spielt. „Die klassischen Denkstrukturen haben dort nicht funktioniert. Künstler und Kulturschaffende sind jetzt gefragt, da sie einen anderen Blick auf die Gesellschaft haben“, sagt Burchhardt. Künstler seien gerade in der Krise flexibel: Sie wüssten sich gegenseitig zu helfen, nutzten leerstehende Gebäude und führten Tauschsysteme gegen den Geldmangel ein. Wäre die europäische Kulturpolitik ähnlich unbürokratisch und flexibel, könnten neue Ideen besser gefördert werden.

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