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Nach dem Frühling

Von Angelika Mandzel / 25. September 2014
Zaatari Flüchtlingslager im Norden Jordaniens - picture alliance / empics | Tom White

Als historische Zäsur wird der im Dezember 2010 begonnene Arabische Frühling oft bezeichnet. In vielen Ländern des Nahen Ostens gab es plötzlich demokratische Bewegungen gegen autoritäre Regime. Knapp vier Jahre später ist der Frühling vergangen, aber der Sommer noch nicht in Sicht. Ein Kommentar. Es brennt im Nahen Osten, offenbar mehr als je zuvor. Während […]

Als historische Zäsur wird der im Dezember 2010 begonnene Arabische Frühling oft bezeichnet. In vielen Ländern des Nahen Ostens gab es plötzlich demokratische Bewegungen gegen autoritäre Regime. Knapp vier Jahre später ist der Frühling vergangen, aber der Sommer noch nicht in Sicht. Ein Kommentar.

Es brennt im Nahen Osten, offenbar mehr als je zuvor. Während in Syrien tausende Menschen sterben, Raketen auf Gaza und Israel fallen und der IS in Syrien und im Irak einen erbitterten Feldzug führt, suchen Abertausende in einer Oase Zuflucht: Jordanien.

Jordanien aber hat seine eigenen Probleme. Das Wasser ist knapp. Die Infrastrukturen des etwa 6,5 Millionen Einwohner zählenden Landes sind mit dem stetig zunehmenden Flüchtlingsstrom überfordert. Wirtschaftliche und sicherheitspolitische Herausforderungen übermannen die hiesige Bevölkerung und ihre Entscheidungsträger. Täglich kommen mehr Menschen auf der Suche nach einer neuen Existenz.

„Alle streben nach einem besseren, sicheren Leben. Sie wollen keine Angst haben müssen, auf die Straße zu gehen, weil sie befürchten müssen, nie mehr nach Hause zurückzukehren“, sagt Omar Rifaï, Direktor des Jordan Institute of Diplomacy in Amman. „Jordanien ist im Auge des Sturms, im windfreien Zentrum, und ist daher der sicherste Platz in dieser Krisenregion.“

Auch Jordanien war vom Arabischen Frühling betroffen, verglichen mit anderen Ländern kam es jedoch nicht zu großen Umstürzen. Die Hoffnungen aus den Aktionen des Arabischen Frühlings sind indes verblasst. Ein besseres Leben kann weder Jordanien noch einer der Nachbarstaaten garantieren.

„Demokratie bedeutet Verantwortung“

„Der Arabische Frühling hat trotzdem etwas verändert“, meint Rifaï. Bürger würden nicht mehr ein Oberhaupt auf Lebenszeit akzeptieren. „Sie würden auf die Straße gehen und nach demokratischen Spielregeln demonstrieren, dank eines neuen arabischen Geistes und frischer Tatkraft.“ Dennoch sei das Verständnis von Demokratie bislang nicht eindeutig. „Demokratie bedeutet nicht die vollkommene Freiheit. Demokratie bedeutet vielmehr, Verpflichtungen zu sehen und Verantwortung auf sich zu nehmen, um Freiheit zu gewährleisten“, meint Rifaï.

Slava Ahmad in Jordanien. (Foto: privat)
Slava Ahmad in Jordanien. (Foto: privat)

Die gebürtige Syrerin Slava Ahmad ist auch eine Befürworterin des demokratischen Aufbruchs. „Der Arabische Frühling ist das Beste, was im 21. Jahrhundert in den arabisch-islamischen Ländern geschehen ist“, sagt sie. „Die Menschen haben endlich ihre Angst vor den diktatorischen Regierungssystemen überwunden.“ Sie protestierten gegen die Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Korruption in der Gesellschaft. Sie forderten ihre Rechte und Würde und riefen nach „Freiheit, Gleichheit und Demokratie“, betont Slava Ahmad.

Steiniger Weg zur Demokratie

Der Weg ist noch weit. Der moderne Mittlere Osten ist erst etwa 100 Jahre alt, was bedeutet, dass sich seine Gestaltung noch im Bildungsprozess befindet. Auch die europäische Demokratie hat einen sehr weiten Weg zurückgelegt – als ihr Wegbereiter gilt die Französische Revolution ab 1789 mit der Aufklärung.

Viele Köpfe sind durch die Guillotine gerollt. Die Revolution fraß ihre eigenen Kinder. Nach der Revolution gab es Konterrevolution, Napoleon, Restauration und Hambacher Fest, viele Rückschläge und letztendlich zwei Weltkriege voll Grausamkeit und Menschenverachtung samt Massenvernichtungslagern. Auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten war der Weg zur Demokratie alles andere als eben.

Demokratie ist kein Ereignis, das einmal eintrifft. Demokratie braucht Zeit. Sie ist kein geradliniger, reibungsloser Prozess. In vielen westlichen Ländern sind erst nach 1945 stabilere Demokratien entstanden. Nach der Französischen Revolution mussten eineinhalb Jahrhunderte bis zur Erlangung einer Demokratie vergehen.

Und auch heute, wenn wir in Europa so etwas wie Demokratie haben, müssen wir sie täglich pflegen und uns anstrengen, um sie zu erhalten. Rechtsextreme und rechtspopulistische Organisationen bedrohen demokratische Errungenschaften wie Mitbestimmung und Sozialstaat.

Deshalb lohnt es sich, den Kopf auch in der Arabischen Welt nicht gleich in den Sand zu stecken. Der Frühling ist vorbei, aber das bedeutet nicht, dass bessere Regierungsformen für immer vom Tisch sind.

Auch die Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi, der unmittelbare Auslöser der Revolution in Tunesien, kam überraschend. Rifaï: „Wer weiß schon, was morgen passiert.“

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