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Selbstbestimmte Identität: Mann, Frau, dazwischen

Von Isabel Stettin / 3. Mai 2016
picture alliance / Zoonar | Andres Victorero

Fühle ich mich als Mann oder Frau? Oder als jemand ganz anderes? Der Umgang mit Transgender in Deutschland ist immer noch verkrampft, der Weg zur Selbstbestimmung der Geschlechtsidentität noch weit.

Eddie Redmayne hat einen Wunsch. „Die Auffassungen darüber, was weiblich und was männlich ist, sind altmodisch und brechen hoffentlich langsam auf.“ Für seine Rolle der intersexuellen Lili Elbe in dem Kinofilm „The Danish Girl“ wurde der Schauspieler mit dem Oscar nominiert. Der Film erzählt von der ersten operativen Geschlechtsangleichung der Geschichte. Redmayne sagte in einem Interview nach den Dreharbeiten, er habe endlich gelernt, dass Geschlecht nicht binär sei, nicht schwarz und weiß, sondern ein Spektrum.

„Männlich oder weiblich ist die erste Unterscheidung, die Sie machen, und Sie sind gewöhnt, diese Entscheidung mit unbedenklicher Sicherheit zu machen“, schrieb der Psychoanalytiker Sigmund Freud. Direkt nach der Geburt legen die Ärzte anhand der äußerlichen Merkmale fest: Es ist ein Mädchen – oder ein Junge. Wir sind auf ein Geschlecht festgenagelt, meist ein Leben lang. Eine Geschlechtsidentität entwickeln alle Menschen, doch thematisiert und problematisiert wird sie nur, wenn sie von der vermeintlichen Norm abweicht, wie am Beispiel von Transgender und Intersex. Fühle ich mich als Mann oder Frau oder irgendwie dazwischen? Diese Frage bedeutet in unserer Gesellschaft noch immer einen Kampf.

Dieser beginnt schont beim Gang auf die Toilette, wie eine aktuelle Debatte im US-amerikanischen Bundesstaat North Carolina zeigt. Dort schreibt ein neues Gesetz vor, dass Menschen nur die Toilette besuchen dürfen, die für das Geschlecht bestimmt ist, welches in ihrer Geburtsurkunde vermerkt ist. Selbst jene, die sich seit Jahren als Frau sehen, als Frau leben, müssen künftig auf das Männerklo. Bruce Springsteen, Ringo Starr und Pearl Jam haben aus Protest ihre Konzerte abgesagt.

Auflösung des Begriffs-Wirrwarrs

Doch nochmal von vorn: trans bedeutet „jenseitig“, „darüber hinaus“, das englische gender steht für das „soziale Geschlecht“, abgegrenzt von sex, dem biologischen Geschlecht. Von Transgender oder Transsexualität ist die Rede, wenn die Geschlechtsidentität nicht mit dem körperlichen Geschlecht übereinstimmt. Trans* als Oberbegriff lässt Raum für Interpretationen: transsexuell, Transmann, Transfrau, transident, Transgender. Darunter werden Menschen gefasst, die sich nicht oder nicht nur mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. „Cisgender“ sind im Gegensatz dazu all jene Menschen, deren Geschlechtsidentität mit ihrem körperlichen Geschlecht übereinstimmt.

Von „Intersex“ wird bei uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen gesprochen. In diesem Zusammenhang ist die Rede von einem dritten Geschlecht, einem alternativen Eintrag, der Ärzten und Eltern nach der Geburt den Zuweisungsdruck nehmen könnte. Mittlerweile besteht für sie in Deutschland zumindest die Möglichkeit, das Feld „Geschlecht“ offen zu lassen.

Facebook lebt seit Anfang 2014 einen entspannten Umgang mit der Geschlechterzugehörigkeit und deren Vielfalt vor: User können aus knapp 60 Geschlechtsdefinitionen auswählen: ob androgyn, bigender, genderqueer, intersexuell, Transmensch, Hermaphrodit, drag oder Cross-Gender.

Selbstbestimmte Geschlechtsidentität

Früher hieß Benjamin Yvonne. Pink wollte sie nie tragen, die Pubertät war eine harte Zeit. Im Alter von 18 Jahren sah sie einen Bericht zu Transgender im Fernsehen. „Ich war erleichtert, weil ich zum ersten Mal Antworten bekam, aber mich gleichzeitig auch gefragt habe: was nun?“, erzählt Melzer im Interview mit der Zeitschrift Men’s Health. Der 29-Jährige ist das erste Transgender-Model auf dem Cover des Magazins. Vor fünf Jahren entschloss er sich zu einer Geschlechtsumwandlung. Er ließ sich elf Mal operieren, mit Hormonen behandeln und seine Geburtsurkunde anpassen. „Dann ändert sich eben der Name, die Person bleibt doch dieselbe“, habe seine damals 90-jährige Oma dazu gesagt.

Auf Instagram folgen Benjamin Melzer mehr als 54.000 Menschen. Regelmäßig postet er Fotos mit den Hashtags #transman und #transbeautiful, zeigt stolz sein Sixpack. „Ich finde es wichtig, mit dem Thema Transgender offen umzugehen und mich nicht zu verstecken.“ Viele verunsicherte Jugendliche sprechen ihn über soziale Medien an, weil sie sich im eigenen Körper nicht wohlfühlen.

Doch trotz hoffnungsvoller Beispiele wird das Thema Geschlechtsidentität in der Gesellschaft verkrampft behandelt. Bei Aussagen wie „Er ist im falschen Körper geboren. Eigentlich war er früher ein Mädchen“ oder „Sie wäre gerne ein Mann“ schwingt oft Unsicherheit mit: Irgendetwas stimmt mit dieser Person nicht.

Der Psychotherapeut Udo Rauchfleisch beschreibt in einem Aufsatz, wie sich Transgender-Personen „dem ihnen von der Gesellschaft zugeschriebenen vom biologischen Geschlecht ausgehenden Positioniert-Werden als Mann oder Frau entziehen“, indem sie sich als Transidente aktiv selbst definierten und so ihre Identität durch eigene Positionierung selbst produzierten. Gerade das Geschlecht und die Entwicklung einer eigenen Identität sind persönlich und bedürfen keiner Rechtfertigung.

Wann muss Geschlechtsidentität überhaupt eine Rolle spielen? In einer Gesellschaft, die einen gleichberechtigten Umgang aller Geschlechter pflegen will, sind diese Kategorien doch eigentlich überflüssig.

Die Diskussion in Deutschland

„Gleiches Recht. Jedes Geschlecht.“ 2015 hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes diesem Leitwort ihr Themenjahr gewidmet. Laut Grundgesetz haben alle Menschen die gleichen Rechte. Von Chancengleichheit kann dennoch nicht die Rede sein. Im 1981 verabschiedeten Transsexuellengesetz (TSG) gilt Transsexualität noch immer als psychische Krankheit, als Geschlechtsidentitätsstörung.

Das in den Köpfen festgesetzte binäre Geschlechtsmodell benachteiligt jene, die zwischen schwarz und weiß stehen. Vor allem trans* und intergeschlechtliche Personen erleben Diskriminierungen. Sie erfahren Gewalt, sind deutlich häufiger von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen, bekommen weniger Gehalt oder keine Beförderung.

Das tut sich international

Andere Länder sind weiter: Dänemark hat als erstes Land in Europa im Juni 2014 die amtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität basierend auf Selbstbestimmung eingeführt und die Änderung von Name und amtlichem Geschlecht erleichtert. Malta verabschiedete 2015, Argentinien 2012 Gesetze, laut denen jede Person das Recht auf Anerkennung der Geschlechtsidentität hat. Die australische Regierung gibt seit einigen Jahren Reisepässe mit drei Kategorien aus: männlich, weiblich und unbestimmt. Das sind erste Schritte, die es Menschen ermöglichen, ihre geschlechtliche Identität selbstbestimmt zu wählen.

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