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Nicht die Niederlagen, sondern die Siege feiern

Von Leonie Haueisen / 9. Oktober 2015
picture alliance / NurPhoto | Mateusz Wlodarczyk

Ich habe im Sejm, dem polnischen Parlament, mit den Abgeordneten Marek Krząkała (PO), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und im Europaausschuss und Vorsitzender der Polnisch-Deutschen Parlamentariergruppe, und Kazimierz Gołojuch (PiS), Mitglied im Europaausschuss und in der Polnisch-Deutschen sowie der Polnisch-Ukrainischen Parlamentariergruppe, über ihre Positionen und die bevorstehenden Wahlen gesprochen.

Die PO (Bürgerplattform) und die PiS (Partei für Recht und Gerechtigkeit) sind die stärksten Parteien in Polen. Derzeit regiert die PO in einer Koalition mit der PSL (Polnische Bauernpartei). Am 25. Oktober wählen die Polen einen neuen Sejm und Senat. Zwei Kontrahenten im Wahlkampf sprechen über ihre Pläne.

Wie steht Ihre Partei zur EU und zur europäischen Integration?
Marek Krząkała (PO): Wir unterstützen den Prozess der europäischen Integration. Ich bin überzeugter Europäer; ich bin auch Schlesier und Pole. Ich sehe keinen Widerspruch. Europäer zu sein ist eine Bereicherung.
Kazimierz Gołojuch (PiS): Die PiS ist für die EU. Ich habe bei der Volksabstimmung zum EU-Beitritt Polens den Leuten gesagt, dass sie mit „ja“ abstimmen sollen. Wir denken, dass die EU eine Union der Heimat sein, dass jedes Land eine wichtige Rolle spielen soll.
Es ist mir wichtig, den Leuten etwas über die EU und ihre Werte zu erzählen. Ich versuche, ihnen das Gefühl zu geben, dass das gemeinsame Wohl und gute Nachbarschaft eine sehr große Rolle spielen.

Welche Haltung hat Ihre Partei zur Euro-Einführung?
MK: Schon beim EU-Beitritt 2004 war eine Bedingung, dass wir den Euro einführen. Man muss die Kriterien erfüllen. Das haben wir kurz vor der Krise in Griechenland. Seither ist die Einführung des Euros kein Thema mehr. Die Eurozone muss gesund werden. Was mir in Polen fehlt, ist die wissenschaftliche Debatte über die Euro-Einführung. Meine Partei ist davon überzeugt, dass wir den Euro einführen müssen. Wir brauchen eine Drei-Fünftel-Mehrheit im Sejm, was momentan nicht möglich ist. Die PiS ist dagegen. Wahrscheinlich werden sie die Wahl gewinnen.
KG: Ich und meine Partei sind der Meinung, dass man bei der jetzigen Währung bleiben sollte.

Welche Vorstellungen haben Sie von der EU und Polens Rolle darin?
KG: Wir denken, dass die EU eine Union aller Mitglieder sein soll. Sie könnte erweitert werden, aber es ist wichtig, dass alle Mitglieder der EU gleichbehandelt und ihre Rechte berücksichtigt werden. Wir sind für die Zusammenarbeit innerhalb der EU. Die Sicherheit Europas und der Welt ist sehr wichtig. Die EU kann hier eine sehr wichtige Rolle spielen und sich um den Frieden in Europa und der Welt kümmern. Das waren auch die Grundsätze, die den Gründervätern wie Adenauer und Schuman wichtig waren.

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Marek Krząkała (PO), ich und Joanna Andrychowicz-Skrzeba von der FES Warschau. Foto: Leonie Haueisen

Wie stehen Sie zur Flüchtlingsfrage?
MK: Es ist schade, dass die Debatte über die Flüchtlingswelle im Wahlkampf stattfindet. Das Thema wird als Instrument im Wahlkampf genutzt. Meine Partei weiß, dass wir den Flüchtlingen helfen müssen. Wir müssen aber unterscheiden, wer Flüchtling und wer ökonomischer Migrant ist. Wir wollen die Grenzen stärker sichern, damit die Flüchtlingswelle nicht so hoch wird. Und wir möchten nicht sofort Flüchtlinge aufnehmen müssen. Denn das ist auch ein Signal für die Schmuggler, gegen die man unbedingt kämpfen muss. Wir haben im vergangenen Jahr 270.000 dauerhafte Visa für die Ukrainer ausgegeben. Das sind zwar keine Flüchtlinge, aber der Konflikt in der Ukraine wird noch Jahre dauern. Wir haben versucht, der Gegenpartei klar zu machen, dass wir in Zukunft auch die Solidarität der anderen EU-Länder brauchen, wenn die Welle aus der Ukraine zunimmt. Das, was Putin in der Ukraine und Syrien macht, ist die Destabilisierung der ganzen Situation. Das wird auch fatale Konsequenzen für Europa haben. Wir als EU verpassen durch Abwarten unsere Chance, der Hauptspieler in diesem Konflikt zu werden.
KG: Wir sind dafür, dass man den Flüchtlingen dort helfen sollte, wo sie sich befinden, zum Beispiel in den Lagern in der Türkei. Die Aufnahme von Flüchtlingen sollte die Entscheidung der Länder sein. Auf jeden Fall muss Frauen, Kindern und allen, die Hilfe brauchen, geholfen werden.

Welche Themen sind für Ihre Partei im Wahlkampf besonders wichtig?
MK: Im März, als der Präsidentenwahlkampf stattfand, haben wir versucht, das Positive seit 1989 zu zeigen. Wir haben große Fortschritte gemacht, beispielsweise was das BIP oder unser Wirtschaftswachstum anbelangt. Wir sind stolz darauf. Aber bald hat sich herausgestellt, dass das keine Themen sind für Leute, die das Positive nicht gesehen haben. Deshalb zeigen wir nun im Wahlkampf, was wir für die Familie, für die Wirtschaft, für die Unternehmer gemacht haben und machen werden – zum Beispiel Arbeit und Wohnungen für junge Leute.
KG: Die wichtigsten Themen sind Wirtschaft, Hilfe bei der Entwicklung von kleinen und mittleren Unternehmen, Familie, ärmere Leute, die Verbesserung des Gesundheitssystems, das Finden einer Methode, wie man gut ausgebildete junge Polen hier im Land behält. Man sollte versuchen, dass Polen sich dynamischer entwickelt, aber dabei muss man die christlichen Werte berücksichtigen.

Welche Stellung hat der Europaauschuss in Polen?
MK: Es ist immer die Diskussion, welche Rolle die nationalen Parlamente in Europa spielen und welchen Einfluss sie auf die Entscheidungen des Europäischen Parlaments haben. Der Europaausschuss in Polen besteht aus 46 Abgeordneten. Der ganze Sejm hat 460 Mitglieder. Die Sitze für die Parteien werden prozentual zu den Wahlergebnissen verteilt. Wir treffen die Entscheidungen für den ganzen Sejm, abgesehen von Angelegenheiten wie dem Vertrag von Lissabon.

Wie läuft die Arbeit in der Polnisch-Deutschen Parlamentariergruppe ab?
MK: Abgesehen von der Intensität der Beziehungen leben wir momentan in einer Zeit, in der wir nicht immer der gleichen Meinung sind, aber über alles reden können. Nicht so, wie in den Jahren 2005 bis 2007 – und das unterstreichen vor allem die deutschen Kollegen –, in denen man über bestimmte Themen nicht sprechen durfte. Nächstes Jahr feiern wir das 25-jährige Jubiläum der Unterzeichnung des Vertrags „über gute Nachbarschaft und freundliche Zusammenarbeit“. Da es bei der Erfüllung des Vertrags eine Asymmetrie gibt – die deutsche Seite hat noch viel aufzuholen –, entstand im Jahr 2010 ein Runder Tisch.
KG: Die Arbeit in der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe ist sehr gut. Wir sprechen beispielsweise über gute Nachbarschaft oder den Jugendaustausch. Wir hören zu, was die Leute sagen und brauchen. Polen und Deutsche reisen viel, sie treffen sich. Auch die Wirtschaft ist verbunden. Wir wollen den Austausch der Deutschen und Polen verstärken und Probleme lösen. Die Diskussion in der Gruppe ist auf einem sehr hohen Niveau. Es ist eine Tätigkeit, die von Herzen kommt. Sie ist sehr wichtig für mich.

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Kazimierz Gołojuch (PiS) zeigt mir im Sejm die Miniaturansicht des Warschauer Parlamentskomplexes. Foto: Leonie Haueisen

Rubrik „Persönliches“

Was fällt Ihnen zum Stichwort EU ein?
MK: Offene Grenzen, Freiheit. Und Probleme, die nur dann zu lösen sind, wenn wir uns einig darüber werden, was nicht einfach, aber möglich ist.
KG: Schengen, keine Grenzen. Ich war als Student viel unterwegs und bin auch mehrmals durch die DDR gereist. Ich habe auch unangenehme Situationen erlebt und möchte nicht, dass meine Kinder das erleben. Und Sicherheit. Das Schöne an der EU ist, dass wir gemeinsam über Probleme sprechen können und versuchen, Lösungen zu finden. Das führt auch dazu, dass wir uns sicher fühlen innerhalb der EU und der NATO. Es wäre sehr gut, wenn das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert ohne Kriege, zumindest in Europa, am besten auch in der Welt, wäre.

Fühlen Sie sich als Europäer?
KG: Ja. Ich beschäftige mich schon seit vielen Jahren als Abgeordneter und Lokalpolitiker mit europäischen Themen. Als Student verbrachte ich fünf Jahre in Krakau und habe dort viele Kontakte geknüpft. Wir haben uns oft unterhalten und man hat gespürt, dass man um Europa bemüht ist.

An was denken Sie, wenn Sie die polnische Nationalhymne singen?
MK: Dass wir als Polen sehr stolz auf unsere Vergangenheit sind. Wir als Volk sind leider Märtyrer. Wir feiern alle Niederlagen, was ich nicht gut finde. Die PiS wollte zum Beispiel, dass das 150-jährige Jubiläum des Januaraufstands – wie jeden Aufstand haben wir auch diesen verloren – das ganze Jahr gefeiert wird. Ich weiß, dass wir in unserer Geschichte fast alles verloren haben, aber wir müssen nicht die Niederlagen feiern, sondern die Siege. Das ist der Unterschied zur PiS. Ich bin stolz auf meine Geschichte, aber ich lebe nicht nur in der Vergangenheit. Ich bin zukunftsorientiert.
KG: Ich bin vor allem stolz, dass ich Pole bin, dass wir in einem freien Europa leben, dass sich hier Kinder und Jugendliche weiterbilden können. Ich denke in nationalen Kategorien, aber ich denke auch an die europäische Gemeinschaft und an die Nationen, die darauf warten, der EU beitreten zu können. Es wäre gut, wenn sie die Chance hätten, mit den europäischen Werten und offenen Grenzen zu leben. Ich denke vor allem an die Ukraine, auch weil ich nahe der ukrainischen Grenze wohne.

Die Antworten von Kazimierz Gołojuch wurden aus dem Polnischen übertragen von Joanna Andrychowicz-Skrzeba, FES Warschau.

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