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Mein Papst und ich

Von Markus Gutfleisch / 16. August 2013
picture alliance / Stefano Spaziani | Stefano Spaziani

Als ich etwa 12 Jahre alt war, dachte ich zum ersten Mal darüber nach, ob ich vielleicht anders bin als die Jungs in meiner Schulklasse. In diesem Jahr 1978 wurde ein Mann zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt, der von Sexualität wenig und von Homosexualität noch viel weniger hielt. Diese Kirche aber war mein Zuhause, […]

Als ich etwa 12 Jahre alt war, dachte ich zum ersten Mal darüber nach, ob ich vielleicht anders bin als die Jungs in meiner Schulklasse. In diesem Jahr 1978 wurde ein Mann zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt, der von Sexualität wenig und von Homosexualität noch viel weniger hielt.

Diese Kirche aber war mein Zuhause, von der Messdienerzeit bis hin zum Theologiestudium, und sie ist es heute noch. Wie viele katholische Lesben, Schwule, Bisexuelle und TransMenschen habe ich meinen Platz in der Kirche gefunden. Nach langen, unerfreulichen Jahren tut sich mit Papst Franziskus eine neue Situation auf.

Als der Argentinier Bergoglio zum Papst gewählt wurde, erinnerten die Medien daran, dass er sich in seiner Heimat vehement gegen die Einführung der Homo-Ehe ausgesprochen hat. Nun betonte er während eines Interviews, bei dem spontane Fragen zugelassen waren, dass Homosexuelle, die Gott suchen, nicht zu verurteilen seien. Das ist nichts Neues, die römisch-katholische Kirche hebt das in allen Stellungnahmen hervor. Bemerkenswert ist, dass Papst Franziskus freier und verständlicher als seine Amtsvorgänger über dieses Thema spricht, das die Kirche zu heftigen Kontroversen treibt.

Man gewinnt den Eindruck, dieser Mann, der eher Seelsorger als theologischer Lehrer sein will, ist geerdet  – vielleicht durch die lateinamerikanische Erfahrung, dass die Kirche nicht (mehr) die Macht hat, direkten Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen, dass sie in ethischen und gesellschaftlichen Fragen nicht unangefochtene Führerin ist, sondern in ihrer Glaubwürdigkeit, nicht zuletzt durch Skandale und durch Paktieren mit den Mächtigen, beschädigt ist.

Die Homo-Baustellen der römisch-katholischen Kirche

Das Lehramt sagt deutlich, Homosexuellen sei „mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen. Man hüte sich, sie in irgend einer Weise ungerecht zurückzusetzen.“ Das klingt interessant, doch Lesben, Schwule, Bisexuelle und TransMenschen verzichten auf diese Form von Mitleid und fragen sich, was wohl gerechte und was ungerechte Diskriminierung sei. Schon die homosexuelle Neigung wird „objektiv ungeordnet“ genannt.

Der neue Papst zeigt Demut: „Wenn ein Mensch homosexuell ist und den Herrn guten Willens sucht – wie könnte ich es wagen, darüber zu urteilen?“ Er macht deutlich, dass die Kirche Menschen eher begleiten muss als sie zu beurteilen. Die neue Haltung heißt: Nicht ausgrenzen. Überhaupt nicht. Die Vorstellung von einer „gerechten“ Diskriminierung gibt er auf.

Partnerschaft und Homosexualität

Im Weltkatechismus von 1992 heißt es, Homosexuelle seien zur Keuschheit aufgefordert. In einem von Joseph Ratzinger verantworteten Dokument von 1986 steht es noch deutlicher: Die Kirche muss homosexuellen Personen klar machen, dass sie „die nächste Gelegenheit zur Sünde zu meiden haben“. Sexualität und Partnerschaft von Homosexuellen werden unter anderem deshalb verworfen, weil in ihren Beziehungen kein neues Leben entstehen könne.

Staatliche oder kirchliche Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften bis hin zum Adoptionsrecht

Auf diesem Feld hat Rom viele Jahre lang die Sexualmoral weiter entfaltet: Abweichende Meinungen wurden kirchenintern ausgegrenzt, Seelsorger bekamen klare Vorgaben, wohin der Kurs die Menschen bringen sollte (zur Aufgabe ihres sündigen Tuns), katholischen Politiker_innen wurde gesagt, wie sie abzustimmen hätten. Nahezu überall, wo in einem Parlament über ein Rechtsinstitut für lesbische und schwule Partnerschaften beraten wurde, mischten sich Vertreter der katholischen Oberkirche ein, beschworen eine Gefahr für Ehe, Familie und Gesellschaft, und forderten Politiker_innen auf, Gesetzesentwürfe abzulehnen. Eine der heftigsten Auseinandersetzungen fand in Frankreich statt; dort wurde besonders gegen das Adoptionsrecht gewettert.

Dass es auch bisher in der katholischen Kirche andere Einschätzungen gibt, zeigten der frühere Mailänder Kardinal Martini, der schrieb, gleichgeschlechtliche Partnerschaften hätten einen Wert und der Staat dürfe sie fördern, sowie Kardinal Woelki aus Berlin, der beim Katholikentag 2012 erklärte, die Katholische Kirche könne ihre generell negative Einstellung gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen überdenken.

Schwule Priester, homosexuelle Kirchenmitarbeiter_innen

Schon Mitte der 80er Jahre gründeten sich Gruppen schwuler Priester; ein theologischer Aufsatz, in dem eine Einschätzung zum Anteil der Schwulen im Klerus gegeben wurde, erregte Aufsehen. Mit dem Coming-out einiger war das Tabu gebrochen, auch wenn sich bis heute die meisten verstecken. Die Kirchenleitung förderte dieses Versteckspiel, als sie betonte, homosexuelle Männer könnten deswegen nicht zu Priestern geweiht werden, weil sie unreife Personen seien und keine korrekten Beziehungen zu Frauen und Männern aufbauen könnten.

Im Jahr 2002 erklärten die katholischen Bischöfe Deutschlands: Das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft zieht für Beschäftigte in katholischen Einrichtungen (Kirche, Caritas) die Kündigung nach sich. Die Kirche macht also einen nicht unerheblichen Teil ihrer Mitarbeiter_innen zu Problemfällen, die enthaltsam und unauffällig leben sollen. Sie hebt hier nicht auf fachliche oder menschliche Qualitäten der Bediensteten ab, sondern auf ihr Privatleben.

Ob Pfarrer, Krankenschwester, Religionslehrerin, Kirchenmusiker: tausende, die der Kirche und den Menschen dienen wollen, verstecken sich. Sie reden von Gottes Liebe und leben selbst in Angst. Engagierte Frauen und Männer – von der Kirche aussortiert oder in vorauseilender Einschätzung erst gar nicht im kirchlichen Beruf gestartet.

Die so genannte Gay Lobby im Vatikan

Als Spitze des Eisbergs gilt inzwischen die Debatte um eine „Gay Lobby“ in der römischen Kurie. Papst Franziskus hat kürzlich das böse Wort (gay) einfach ausgesprochen – manche halten das für revolutionär. Leider wird nicht offen gesagt, was damit gemeint ist, und damit ist bunte Spekulation möglich. Wenn das Kirchenoberhaupt den Einfluss einer intransparenten Seilschaft abschaffen will, die Machtpositionen verteilt und unsachgemäß Einfluss nimmt, so werden alle das verstehen.

Ein solcher Lobbyismus schadet jeder Organisation, unabhängig davon, ob er von Schwulen oder von anderen Menschen ausgeht. Doch Vorsicht: Der Kampf gegen die „Gay Lobby“ darf nicht zum Kampf gegen Gays werden! Die Kirche braucht die Glaubens- und Lebenserfahrungen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und TransMenschen, wenn sie das Vertrauen von Enttäuschten und Verletzten wieder gewinnen will, die ihr in Scharen den Rücken gekehrt haben. Hier gilt es, die hilfreichen Emanzipationsgruppen zu stärken, die Seilschaften aber auszutrocknen, die man in früheren Jahren gefördert hatte – wie sonst hätten sie sich im Vatikan breit machen können?

Manchmal fühle ich mich als katholischer schwuler Mann zwischen allen Stühlen. Einige Menschen, die mich begleiten, erwarten von der Kirche nichts mehr. Sie sind ausgetreten. Andere bemühten sich, die frostigen Zeiten angepasst zu überstehen, wieder andere suchen spirituelle Ecken, in denen es sich ohne viel Kirchenkampf leben lässt.

Ich habe entschieden: Ich bleibe. In einer menschlichen, offenen, solidarischen Kirche. Eine weltweite Glaubensgemeinschaft, die Menschen auf dem Weg zu Gott begleiten will, kann gar nicht anders als Lesben, Schwulen, Bisexuellen und TransMenschen bei ihrem Coming-out, ihrem Streben nach authentischem Leben, zu ermutigen und die Vielfalt in den eigenen Reihen zu fördern.

Papst Franziskus hat nur wenig Neues gesagt, aber in seiner unkonventionellen Art Realitätsbezug gezeigt. Den hält er auch in der katholischen Kirche für dringlich. Sicher ist er überzeugt, dass Theologie und Kirche den Menschen dienen müssen. Die theologische Diskussion ist im Gang, und als Kirchenoberhaupt hält er die Tür offen. Die Menschen erwarten nun, dass den Worten Taten folgen.

Markus Gutfleisch, Recklinghausen

Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche www.huk.org

Eine Antwort zu “Mein Papst und ich”

  1. Von Heinz-Dirk Schoon am 18. August 2013

    Ich gebe Markus Gutfleisch unbedingt Recht! Wenn ich als schwuler Christ von Herzen auf der Suche nach, auf dem Weg zu meinem Gott bin und Gott für mich die unbedingte Liebe ist, dann darf es nicht sein, dass mir Menschen diese Liebe streitig machen. Egal, ob ich im täglichen Leben einen Mann in partnerschaftlicher Verbundenheit, in freundschaftlicher Zuneigung oder rein körperlich liebe.

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