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Immer noch ziemlich beste Freunde

Von Jonas Freist-Held / 6. Oktober 2015
Foto: Jonas Freist-Held

Die deutsche Sozialdemokratie half den spanischen Sozialisten nach dem Franco-Regime, eine neue Ära zu begründen. Spanien wurde begeistertes Mitglied der EU. Bis heute verbindet die Sozialdemokraten in Deutschland und Spanien eine enge Freundschaft. Aber: Die Vorstellungen über die Zukunft der EU gehen auseinander. Ein Gespräch mit Michael Ehrke, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Madrid.

Michael Ehrke leitet seit Ende 2013 das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Madrid.
Michael Ehrke leitet seit Ende 2013 das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Madrid.

Herr Ehrke, was macht die Friedrich-Ebert-Stiftung in Spanien?

In der Geschichte der spanischen Demokratie spielt die Friedrich-Ebert-Stiftung eine prominente Rolle. Nach dem Ende der Franco-Diktatur im Jahr 1975 hat die Stiftung viel getan, um die spanische sozialistische Partei, die Partido Socialista Obrero Español (PSOE), in eine moderne sozialdemokratische Partei umzuwandeln. Die Stiftung hatte erheblichen Anteil daran, dass bei den ersten freien Wahlen 1977 eine sozialdemokratische Ära angestoßen wurde und nicht die Kommunisten Spanien übernahmen. So hat Spanien eine positive Entwicklung vollzogen. Diese wird von der aktuellen Krise natürlich gebremst.

Ist der Einfluss der Stiftung auch heute noch so groß?

Wir haben längst nicht mehr die Bedeutung der 1970er Jahre. Bei allen Defekten hat sich die spanische Demokratie konsolidiert. Heute sind wir eine Art Verbindungsbüro zwischen deutscher und spanischer Sozialdemokratie. Unser Engagement erstreckt sich maßgeblich über drei Bereiche: PSOE-nahe, international ausgerichtete Stiftungen, Gewerkschaften und Think-Tanks.

Wie sehen konkrete Projekte aus?

Derzeit unterstützen wir eine Veranstaltung zum Thema „Verarbeitung der Vergangenheit“. In Spanien sind der Bürgerkrieg und die Diktatur noch unglaublich präsent, aber gleichzeitig tabuisiert. So wurde der spanische Richter Baltasar Garzón, der versucht hatte, Leichen in Massengräbern aus dem Bürgerkrieg identifizieren zu lassen, schlichtweg entlassen. Jetzt gibt es eine Initiative von Historikern, Archivaren und Bibliothekaren zum Thema „Bedeutung der Archive“. Mit einer Konferenz möchte sie einen Diskurs über die Franco-Vergangenheit anstoßen. Wir bringen jemanden von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur mit in die Veranstaltung, um eine neue Perspektive einfließen zu lassen.

In aktuelle politische Diskussionen mischt die Stiftung sich aber nicht ein?

Nein. Aber wir beteiligen uns an Veranstaltungen, die grundlegende Themen diskutieren. In Saragossa hatten wir eine Veranstaltung zu Föderalismus. Viele in Spanien sehen ein föderales System als Lösung für den Konflikt zwischen dem Status Quo und den Sezessionstendenzen autonomer Regionen wie Katalonien an.

Was ist das aktuell wichtigste europapolitische Thema in Spanien?

Die Flüchtlingsfrage drängt sich immer mehr nach vorne. Aber das meistdiskutierte Thema ist Katalonien. Was macht die Europäische Union im Falle einer Sezession der Region? Die Vertragslage ist eindeutig. Wenn Katalonien aus dem spanischen Staatsapparat ausschert, dann ist es automatisch nicht mehr Mitglied der EU. Es wird nicht rausgeschmissen, sondern es fände einfach keine europäische Politik mehr statt. Das scheint den Katalanen überhaupt nicht klar zu sein.

Wie würde sich ein Ausschluss aus der EU für Katalonien bemerkbar machen?

Gäbe es keine europäische Agrarpolitik mehr, würden die Bauern in Katalonien das sofort am zweiten Tag zu spüren bekommen. Die Gegner der Sezession sind überzeugt, dass Katalonien die Mitgliedschaft in der EU neu beantragen müsste. Das dauert und bringt erhebliche wirtschaftliche Risiken mit sich.

Eingang der Friedrich-Ebert-Stiftung in Madrid.
Eingang der Friedrich-Ebert-Stiftung in Madrid.

Wie verorten sich die Spanier in der EU?

Die Spanier sind über alle Linien hinweg pro-europäisch. Es gibt keine anti-europäische oder Euro-skeptische Partei hier. In Spanien werden die besten Politikerinnen und Politiker nach Brüssel geschickt. Der Spruch „ein Opa geht nach Europa“ trifft hier nicht zu. Leute, die ihre Karriere schon hinter sich haben, kommen nicht in Frage. Die Europadelegierten spielen dann auch in der Innen- und Parteipolitik eine wichtige Rolle. Das ist ganz anders als in Deutschland. Die Europabegeisterung ist aber auch leicht zu verstehen: Neben Irland hat kein anderes Land so sehr von der EU und der damit einhergehenden Öffnung der Märkte profitiert wie Spanien.

Wie drückt sich das in den Parteizielen aus?

Die Anhänger der PSOE sind Föderalisten. Sie streben einen europäischen Bundesstaat an. Sie haben eine klare Vorstellung davon, wie Europa aussehen soll. Das größte Thema der Konservativen, der Partido Popular, hingegen ist nicht Europa, sondern die Autonomie, gegen die sie sich zur Wehr setzen.

Wo würde die PSOE ihre Verbündeten auf europäischer Ebene sehen? Die deutsche Sozialdemokratie steht der Idee ja etwas skeptischer gegenüber.

Die Deutschen würden eher sagen: Wir definieren das Ziel nicht. Für uns ist es ein offener Prozess. Trotzdem spielen die deutschen Sozialdemokraten und Deutschland insgesamt eine zentrale Rolle. Die Parteien fragen sich, wie Deutschland so gut durch die Krise gekommen ist. Was machen wir anders? Es gibt hier in Spanien ein großes Interesse an deutschen Themen: das duale Bildungssystem, die erfolgreiche Industrie, die Mitbestimmung am Arbeitsplatz.

Auch die italienischen Sozialdemokraten streben ein föderales Europa an. Müssten sie nicht natürlicher Verbündeter der PSOE sein?

In meiner Zeit in Spanien habe ich Italien nie als Referenzpunkt gehört. Dann eher Frankreich. Da gibt es eine gewisse Solidarität gegen die Austeritätspolitik, gegen die deutsche Krisenpolitik. Das betrifft auch die PSOE, die sich wundert, dass die deutsche Sozialdemokratie sich bei dieser Frage so bedeckt hält. Aber am ehesten geht der Blick der Spanier immer noch nach Deutschland.

Müsste da von der deutschen Sozialdemokratie mehr kommen?

Sagen wir mal so: Der letzte große deutsche Europapolitiker war Helmut Kohl. In der SPD hält man sich beim Thema Europa derzeit zurück, man konzentriert sich darauf, seine innenpolitische Agenda, darunter der Mindestlohn, durchzusetzen. Einige sind aktiver, andere stimmen auch mit Merkels Europapolitik überein. In Deutschland ist es so, dass Schuld und Schulden dasselbe sind. Dass Banken eine Rolle spielen, erkennen viele gar nicht.

Einige spanische PSOE-Politiker sagen, der SPD fehle eine Vision für Europa.

Der SPD fehlt derzeit leider schon ein europapolitisches Profil. Aber das mit der Vision ist so eine Sache. Ich wäre immer dafür zu sagen, lassen wir offen, was aus Europa werden soll. Es ist eine Baustelle. Wir kennen die Finalität nicht. Die Anhänger der PSOE sind überzeugte Föderalisten. Und da bin ich skeptisch. Wird die EU zu einem neuen Superstaat, oder wächst etwas historisch Neues heran? Das ist doch eigentlich das Interessante. Nun gibt es derzeit einen Trend zur Renationalisierung der Politik. Das ist bedauerlich. Da könnte die deutsche Sozialdemokratie mehr machen.

Was kann Spanien zu einer erfolgreichen Zukunft der EU beitragen?

Erstens hat Spanien hervorragende Beziehungen zu Lateinamerika. In Kuba könnte Spanien eine große Rolle spielen. In Venezuela unterstützt Spanien die Opposition. Jedes Jahr gibt es eine Versammlung lateinamerikanischer Regierungschefs mit dem spanischen König. Zweitens spielt Spanien eine gewisse Rolle im Mittelmeerraum. Die tunesische Verfassung, das einzige halbwegs positive Ergebnis des Arabischen Frühlings, wurde von spanischen Verfassungsrechtlern mitgestaltet. Drittens hat Spanien die Kraft, die europäische Wirtschaftspolitik zu verändern.

Kann Spanien einen Paradigmenwechsel der europäischen Wirtschaftspolitik bewirken?

In der jetzigen Krise ist Südeuropa immer nur als Opfer aufgetreten. Alle Staaten sind vor Merkel eingeknickt. Ich glaube, Spanien hätte mit einer anderen Regierung die Potenz, aktiver aufzutreten. Es ist nicht so schwach wie Griechenland oder Portugal. Spanien hat schon Power. Es ist das führende südeuropäische Land. Italien ist zwar größer, aber durch die Erfahrung in der Peripherie und als Nicht-Gründungsmitglied könnte es eine gewisse Rolle spielen, die Interessen der südeuropäischen Länder in der europäischen Wirtschaftspolitik stärker zu formulieren. Überall außerhalb Deutschlands wird die Austeritätspolitik als falsch angesehen.

Wird Merkel in Spanien als Antagonistin wahrgenommen?

Das ist ambivalent. Es gab hier keine Bilder von Merkel mit Hitlerbärtchen. Es gibt immer noch diese positive Haltung gegenüber Deutschland, die aus dem Engagement für die spanischen Sozialisten nach dem Franco-Regime resultiert. Trotz Merkel ist hier keine anti-europäische Stimmung entstanden. Die Spanier haben eine klare Vorstellung davon, in welche Richtung sich Europa entwickeln soll. Unabhängig von der Krise ist Europa für sie noch immer ein Ort der Hoffnung und der Perspektiven.

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