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Weder Huren noch unterwürfig

Von Tabea Schroer / 11. Oktober 2015
picture alliance / abaca | Datchary Jean-Jacques

Frauen in den Banlieues von Paris werden auf verschiedene Weise diskriminiert. Seit 2003 organisieren sie sich als „Ni putes ni soumises“. Europabloggerin Tabea Schroer hat sich mit der Präsidentin Linda Fali unterhalten.

„Das ist klar. Wir sagen nein, nein zum Burka-Verbot“, sagt Linda Fali. Seit November 2014 ist sie die Präsidentin der Bewegung Ni Putes Ni Soumises (NPNS). Auf Deutsch bedeutet das „Weder Huren noch unterwürfig“. Der Name wendet sich gegen die Unterdrückung, die viele der Frauen 2003 in den Vorstädten (frz. banlieues) erfuhren. Sie seien gegen das Burka-Verbot, da sie gegen jede Form der Unterdrückung der Frauen seien, sagt Fali.

Frauen in Vorstädten erfahren eine Mehrfachdiskriminierung

Linda Fali ist seit 2014 die Präsidentin des Mouvement Ni Putes Ni Soumises. (Foto: Tabea Schroer)
Linda Fali ist seit 2014 die Präsidentin der Bewegung Ni Putes Ni Soumises. (Foto: Tabea Schroer)

Die Bewegung machte im Jahr 2003 mit den Marches des femmes des quartiers contre les ghettos et pour l’égalité (dt. „Märsche der Frauen der Vorstädte gegen die Ghettos und für die Gleichheit“) auf sich aufmerksam. Im Oktober 2002 war die 17 Jahre alte Schülerin Sohane Benziane im Süden von Paris von ihrem Ex-Freund bei lebendigem Leibe verbrannt worden. Es war unter anderem dieser Vorfall, der zur Mobilisierung der Frauen führte, die fortan auf die Situation der Frauen in den Vorstädten aufmerksam machten.

Denn die Frauen in den Vorstädten erfahren eine Mehrfachdiskriminierung. „Nehmen wir das Beispiel öffentlicher Nahverkehr: Wenn die Frauen abends von der Arbeit nach Hause kommen, dann kann es sein, dass sie mitunter eine Stunde auf einen Bus warten müssen“, sagt Fali. In anderen Vierteln in Paris warte man sieben bis maximal 15 Minuten.

Da in den Vorstädten auch mehr Frauen alleinerziehend seien, wiege dieser Unterschied schwer, weil es schwieriger sei, eine Betreuung zu organisieren, wenn die Frauen erst spät nach Hause kämen, sagt Fali. Hinzu komme der Sexismus, den Frauen in den Verkehrsmitteln erführen. „Es gab verschiedene Politiken, aber letztendlich wurden die banlieues über Jahre hinweg alleine gelassen“, sagt Fali. „Da hat sich eine Art Mikrokosmos gebildet.“

Die Wirtschaftskrise trifft alle, aber besonders Frauen

Die Wirtschaftskrise habe natürlich alle getroffen, sagt Fali. „Aber besonders auch die banlieues und da in besonderer Weise die Frauen“, fügt sie hinzu. „Heute arbeiten 39 Prozent der Frauen, die in den banlieues leben, in Teilzeit.“ Das mache es kompliziert, aus dieser Situation herauszukommen. „Das ist eine Baustelle, die bearbeitet werden muss“, sagt sie. Die Regierung habe sich einiger Baustellen bereits angenommen, aber es sei ein längerer Prozess. „Die Krise führt nun dazu, dass Budgets heruntergesetzt werden.“ Das schade auch Organisationen, die sich für Frauen einsetzten.

Seit 2003 hat die Bewegung verschiedene Themen behandelt und immer wieder öffentlichkeitswirksame Interventionen organisiert. Außerdem tritt sie in den Dialog mit Politikerinnen und Politikern. Dabei geht es oft um die mixité und das vivre ensemble. Fali sagte bei einer Veranstaltung im September: „La mixité est la base de vivre ensemble.“ (dt. „Die mixité ist die Basis des Zusammenlebens.“) Mit dem Konzept der mixité wendet sie sich gegen den Ausschluss von Männern aus feministischen Organisationen. „Die Basis ist, dass Frauen und Männer zusammenarbeiten, um die Rechte der Frauen zu verteidigen. Es geht einerseits um eine geschlechtliche mixité, andererseits aber auch um eine soziale“, erklärt Fali.

Was kann Europa tun?

Auf europäischer Ebene sieht Fali vor allem ein Organisationsproblem. Auch in anderen Ländern gebe es Ehrenmorde und Zwangsheirat. Aber die Vernetzung zu diesen Themen sei bislang schwierig und langwierig. Internationale Bindungen sollten ihrer Meinung nach organisational und strukturell vereinfacht werden. „Vielleicht brauchen wir auch eine Person, die diese ganze Problematik auf europäischer Ebene trägt und verbindet.“

Ein Thema, dem sich die EU ihrer Meinung nach verstärkt annehmen sollte, ist Gewalt gegen Frauen. „Da gab es viele Kampagnen zur Prävention, überall in Europa“, sagt sie. „Aber danach?“ In Frankreich gebe es ein Problem, was Notunterkünfte und Plätze in anderen Unterbringungseinrichtungen angehe.

Über das „danach“ nachzudenken, bedeute auch, darüber nachzudenken, wie man die Dinge für die Frauen erleichtern könne, die Opfer von Gewalt geworden seien. Sie müssten anschließend zu vielen verschiedenen Stellen gehen, zur Polizei, zum Psychologen und anderen Stellen. „So sollte es nicht sein. Es sollte ein Zentrum geben, wo alle präsent sind außer der Polizei“, sagt Fali. Noch ein Thema, dem die EU sich annehmen sollte. Aber es ist ein wichtiges und oft wenig beachtetes.

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