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DEUTSCHLAND, (K)EIN EINWANDERUNGSLAND?!

Von Europa Konferenz / 11. Juli 2016
Viele Einwanderungsgesezte setzen auf ein Punktesystem. Wer in verschiedenen Kategorien gut abschneidet, der darf darauf hoffen, bald offizieller Bürger des Landes zu werden.
Foto: Claire Pflüger, Mateusz Weis-Banaszczyk

Im Jahr 2014 lebten in Deutschland 16,4 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund – das sind 20 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Einwanderung nach Deutschland ist jedoch im Vergleich zu Ländern wie Kanada nur unzureichend und kompliziert geregelt. Ist Deutschland (k)ein Einwanderungsland?

Im Jahr 2016 sind mehr Menschen auf der Flucht als je zuvor. Die globalisierte Welt in der wir leben, steht jedoch nicht allen offen. In Deutschland flammt die Debatte über ein Einwanderungsgesetz auf, in der Diskussion wird jedoch viel vermischt. Flucht, Asyl und Zuwanderung sind unterschiedliche Facetten von Migration, die häufig verwechselt werden. Nach Völkerrecht und Artikel 16a des Grundgesetzes hat Recht auf Asyl, wer eine begründete Furcht vor Verfolgung hat – sei es aufgrund der Ethnie, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Weiterhin erhält Schutz, wer aus Bürgerkriegsgebieten kommt oder wem bei Abschiebung Folter oder Gefahr für Leib und Leben droht.

Ein Einwanderungsgesetz regelt dagegen explizit Zuwanderung. Es geht nicht um den Schutz von Geflüchteten, sondern um eine Planung der Bevölkerung und Demographie des Landes. Migrant*innen fliehen auf eigene Faust nach Deutschland, um sich die Lebensbedingungen zu verbessern. Zuwanderung erfolgt also aus wirtschaftlichen, politischen oder aus Sicherheitsgründen. Gleichzeitig bedeutet Zuwanderung aber eine Chance für die Weiterentwicklung eines Landes.

Wirrwarr um Aufenthalts­titel

Innerhalb der EU kann jede*r EU-Bürger*in in jedem Land der EU arbeiten. Die Möglichkeiten der Einwanderung für Nicht-EU-Bürger*innen nach Deutschland und die EU sind dagegen komplex. Es gibt fünf verschiedene Aufenthaltstitel, die widerum in verschiedenen Gesetzen geregelt sind. Die EU Blue Card, ähnlich der Greencard in den USA, ist eine der fünf möglichen Aufenthaltstitel. Sie dient als Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis für hoch qualifizierte Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten. Ein Hochschulabschluss ist jedoch Grundvoraussetzung.

Aziz Bachouri studiert an der Universität Leipzig Arabistik. Er kam 2005 nach dem Abitur nach Deutschland, um zu studieren und kann die komplizierten Einwanderungsregelungen nach Deutschland bestätigen. Seit mehreren Jahren engagiert er sich für die Integration von Geflüchteten. »Solange man in Deutschland noch die Sprache lernt und studiert, darf man nicht die Staatsbürgerschaft beantragen, auch wenn man sich zu diesem Land bereits zugehörig fühlt. Zusätzlich zu dem erforderlichen achtjährigen Aufenthalt in Deutschland muss man arbeiten, Steuern zahlen und darf zu dem Zeitpunkt keine Sozialleistungen bekommen.«

Punktesystem als »Nützlichkeitsrassismus«?

Sozialdemokrat*innen und Grüne fordern schon länger ein Einwanderungsgesetz für Deutschland. Doch die Union ist hier noch skeptisch. Eine minimale Gesetzesreform wäre eine Zusammenfassung aller bisherigen Regelungen in einem Gesetz. Die SPD geht weiter und fordert ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild. Dieses sieht eine Mindestpunktzahl für eine erfolgreiche Einwanderung vor. Punkte gibt es für Sprachkenntnisse, Ausbildung, Arbeitserfahrung oder eine Jobzusage. Je nach Bedarf am deutschen Arbeitsmarkt kann so die Zuwanderung von Arbeitskräften gesteuert werden. Außerdem will die SPD auch Asylbewerber*innen das Recht zur Einwanderung garantieren, die bereits in Deutschland qualifiziert und integriert sind. Die Linke kritisiert solche Punktemodelle dagegen als »Nützlichkeitsrassismus«.

Die beiden Politikwissenschaftler Uwe Hunger und Sascha Krannich beschreiben in einer veröffentlichten Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung die »Einwanderungsregelungen im Vergleich«. Darin diskutieren sie die Punktesysteme von Kanada, Australien, Neuseeland, Großbritannien und Österreich. Australien vergibt Punkte für Faktoren wie Alter, Sprachkenntnisse, Berufserfahrungen sowie Bildungsstand. In Großbritannien ist eine Arbeitsplatzzusage notwendige Voraussetzung und in Kanada, Neuseeland sowie Österreich gibt es Punkte sowohl für berufliche Qualifikationen als auch für eine Arbeitsplatzzusage.

In ihrer Studie untersuchen die Wissenschaftler auch, »[w]as Deutschland von anderen Ländern lernen kann«. Sie stellen fest, »dass keines der Punktesysteme […] eins zu eins auf Deutschland übertragbar ist«. Grund dafür sei besonders das in Deutschland »sehr viel stärker ausgebaute Sozialsystem«. Hohe Qualifikationen seine keine Arbeitsplatzgarantie.

Trotzdem bietet ein faires Einwanderungsgesetz Vorteile, denn die »deutsche« Gesellschaft schrumpft. Junge, motivierte und qualifizierte Einwanderer*innen sind eine Chance für das deutsche Sozialsystem. Eine plurale und offene Gesellschaft sollte Einwanderung erleichtern – schon alleine aus demographischen Gründen.

Text: Torsten John
Foto: Claire Pflüger, Mateusz Weis-Banaszczyk

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