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DebatteIst Glaube noch zeitgemäß?

Von Jonas Jordan / 15. August 2016
picture alliance / CHROMORANGE | Christian Ohde

Die Kirchen in Deutschland verlieren seit Jahren massenhaft Mitglieder. Pfarrer predigen vor leeren Kirchenbänken. Gleichzeitig sind viele Moscheen gut gefüllt, wenn der Imam freitags zum Gebet ruft. Wie sieht Glaube 2016 in Deutschland aus?

Anfang der Woche in Rio de Janeiro: Die beiden amerikanischen Athleten David Boudia und Steele Johnson fallen sich nach Ende ihres Wettkampfs jubelnd in die Arme. Kurz darauf bilden sie mit ihrem Trainer einen Kreis. Sie beten zu Gott und danken ihm für die gerade errungene olympische Silbermedaille im Synchronspringen.

Religiöse Glaubensbekenntnisse sind im Sport häufig zu beobachten. Fußballspieler enthüllen nach einem Tor ein T-Shirt mit der Aufschrift „Jesus liebt dich“. Der gewöhnliche Fan schickt auf dem Sofa ein Stoßgebet gen Himmel, damit Manuel Neuer den entscheidenden Elfmeter im EM-Viertelfinale gegen Italien parieren möge.

Doch der Alltag abseits spiritueller Momente in Ausnahmesituationen sieht anders aus. Vielerorts laufen den Kirchen ihre Mitglieder davon. So kehrten alleine im Jahr 2014 in Deutschland mehr als 200.000 Menschen der katholischen Kirche den Rücken. Gleichzeitig traten lediglich 9.000 Menschen ein. Bei der evangelischen Kirche sehen die Zahlen ähnlich aus.

Als Folge der massenhaften Austritte sind die Kirchen zum Sparen gezwungen. So bleiben Pfarrstellen unbesetzt, werden zusammengelegt oder komplett gestrichen. Doch wozu braucht es überhaupt noch einen Pfarrer, wenn sowieso niemand mehr den Gottesdienst besucht?

Gottesdienst ohne Besucher

Horst Rockel ist Pfarrer im mittelhessischen Biebertal, einer Gemeinde in der Nähe von Gießen. Als Rockel am 2. Januar 2016 zum Gottesdienst in den 900 Einwohner zählenden Ortsteil Königsberg fuhr, wartete er vergeblich auf seine Gemeinde. Schnee und Eis sorgten dafür, dass selbst die treuesten Gemeindemitglieder nicht in die Kirche kamen. Allerdings seien die Besucherzahlen auch sonst stark rückläufig. „Einzig bei besonderen Anlässen oder außergewöhnlichen Aktionen wie einem Gottesdienst mit anschließendem Frühstück kommen auch mal bis zu 40 Personen in die Kirche“, so Rockel. „Die Form der Gottesdienste ist einfach nicht mehr zeitgemäß.“

Doch bedeutet das automatisch, dass Glaube nicht mehr zeitgemäß ist? Immerhin ist es noch gar nicht allzu lange her, dass der frühere Papst Benedikt XVI. auf dem Weltjugendtag in Köln von über einer Million Menschen mit „Benedetto, Benedetto“-Rufen frenetisch gefeiert wurde. Noch mehr wird sein Nachfolger, Papst Franziskus, aufgrund seiner für einen Papst fortschrittlichen Ansichten und öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie einem gemeinsamen Essen mit syrischen Flüchtlingsfamilien fast wie ein Popstar bejubelt. Glaube scheint noch nicht gänzlich out zu sein.

Muslime zeigen, dass es auch anders geht

Das zeigt sich auch in anderen Religionen. Gerade im Alltag vieler deutscher Muslime spielt der Glaube eine große Rolle, wie gut besuchte Aktionen wie das gemeinsame Fastenbrechen in Moscheen unterstreichen. Moscheen sind in Deutschland – anders als christliche Kirchen – nicht als Körperschaften öffentlichen Rechts anerkannt. Folglich dürfen muslimische Gemeinden auch keine Steuern erheben und sind auf Spenden von Mitgliedern angewiesen. Das stärkt das Zugehörigkeitsgefühl der Gemeindemitglieder und führt dazu, dass Moscheen nicht nur als Ort der aktiven Religionsausübung verstanden werden, sondern als aktiver Ort der Gemeinschaft gelebt werden.

Laut einer Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aus dem Jahr 2012 zum „Islamischen Gemeindeleben in Deutschland“ gibt es hierzulande etwa 2.350 islamische Gemeinden mit Gebetsraummöglichkeiten sowie zwischen 1.700 und 2.500 islamische Religionsbedienstete. Eine frühere Studie des BAMF aus dem Jahr 2009 beziffert die Zahl der Muslime in Deutschland auf vier bis 4,5 Millionen. Durch den Zuzug von Geflüchteten in den vergangenen Jahren dürfte diese Zahl inzwischen deutlich höher sein.

In der Diskussion um die Zeitgemäßheit des Glaubens darf nicht vergessen werden, dass Glauben sich nicht nur in Weltreligionen manifestiert. Glaube ist sehr weit definiert. In Australien etwa bekannten sich 2002 70.000 Menschen zum Jediismus bekannten, dessen Namen an den Orden der Jedi-Ritter aus Star Wars angelehnt ist. Der Jediismus beinhaltet nach eigenen Angaben spirituelle Elemente des Christentums, des Buddhismus, des Daoismus und des Shintoismus.

Hierzulande bekannter ist die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters, auch Pastafari genannt, die 2005 vom US-amerikanischen Physiker Bobby Henderson gegründet wurde. Die Kirche persifliert in ihrer Glaubenslehre die Theorie des Intelligent Design und geht davon aus, dass die Welt von einem nicht nachweisbaren fliegenden Spaghettimonster erschaffen worden sei, das alle Hinweise auf eine Evolution bewusst gestreut habe, um die Menschen zu verwirren.

 

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Pro | Relevanter denn je

Contra | Zeit für Selbstkritik



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