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Mehr Platz für Bürostuhlakrobaten

Von Sagwas-Redaktion / 10. Oktober 2016
picture alliance / photothek | Thomas Trutschel

Interviewreihe zum Thema Arbeit, Teil 1: Wirtschaftsforscherin Barbara Engels sieht in der Digitalisierung vor allem Vorteile. Zumindest wenn sich alle auf lebenslanges Lernen einstellen.

Die Ökonomin Barbara Engels beschäftigt sich am Institut der deutschen Wirtschaft e.V. in Köln mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf Wettbewerb und Unternehmen.

sagwas: Allgemein betrachtet, welche Chancen verbergen sich aus deiner Sicht hinter der Digitalisierung der Arbeitswelt?

Barbara Engels: Die Digitalisierung ermöglicht es uns, effizienter, flexibler und kreativer zu arbeiten. Die Arbeitswelt verändert sich durch die Digitalisierung radikal – aber diese Veränderungen sind sehr unterschiedlich je nach Branche und Tätigkeitsfeld. In der industriellen Produktion ist die Digitalisierung und die damit einhergehende Automatisierung an sich nichts Neues. Repetitive oder körperlich schwere Arbeiten werden schon lange von Robotern übernommen – etwa im Autobau. In Zukunft werden Mensch und Roboter eine immer bessere Symbiose bilden. Dadurch können Prozesse weiter optimiert und Effizienzen gesteigert werden. Unter „Bürostuhlakrobaten“ führt die Digitalisierung etwa mit neuen Arbeitstools dazu, dass wir von jedem Ort aus arbeiten können und Abstimmungsprozesse und Teamarbeit international schnell und einfach möglich sind. Das öffnet Räume für kreative Ideen.

Und welche Risiken bringt diese Entwicklung mit sich?

Bleiben wir bei den Bürostuhlakrobaten: Der Fakt, dass wir von überall aus arbeiten können und überall erreichbar sind, führt dazu, dass der Bürostuhl plötzlich auch im Sandkasten und am Kaffeetisch steht. Arbeit und Freizeit verschmelzen immer mehr und es ist zunehmend schwierig, eine gute Work-Life-Balance zu finden. Ein weiteres Risiko ist, dass es zu einem „digital divide“ kommt – der Unterschied zwischen denen, die mit der Digitalisierung Schritt halten, und denen, die hinterherhängen, wird größer.

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Digitaloptimistin: Barbara Engels. (Foto: IW Köln)

Was ist die Ursache dahinter?

Für viele ist Digitalisierung eben gerade nicht ein gut ausgestatteter Baukasten, mit dem sie ihr Leben und damit auch ihr Arbeitsleben vereinfachen können. Viele fühlen sich eher überflutet von einem Sammelsurium an neuen digitalen Gimmicks und haben überdies Angst, dass diese ihren Arbeitsplatz gefährden.

Komplexe Aufgaben werden auch noch in 50 Jahren von Menschen erledigt werden

Gibt es auch Arbeitsbereiche, die nie ein Roboter/Computer übernehmen wird?

Definitiv ja. Die Arbeitswelt wird sich erheblich verändern, aber der Mensch bleibt wichtig – auch und gerade wenn er von Robotern bei der Arbeit unterstützt wird. Es gibt zahlreiche Studien, die zu recht unterschiedlichen Einschätzungen darüber kommen, wie viele Arbeitsplätze in Deutschland eine sogenannte hohe Automatisierungswahrscheinlichkeit haben. Durch die Digitalisierung wird es vor allem im Produktionsbereich zu einer Umverteilung der Arbeitsfelder kommen. Umverteilung heißt: Komplexe Aufgaben werden auch noch in 50 Jahren von Menschen erledigt werden. Auffassungsgabe, Logikdenken, Kreativität, Einfühlsamkeit: Das ist und bleibt vorrangig menschlich.

Sind Berufsschulen und Unternehmen auf die Arbeitswelt 4.0 bereits ausreichend vorbereitet?

Sehr viele Unternehmen, vor allem im Mittelstand, haben noch bedeutenden Nachholbedarf. Die Krux ist, dass Digitalisierung sehr schnell und sehr dynamisch ist und damit auch mal undurchdachte und vorschnelle Entscheidungen provoziert – man müsste ja mal, also macht man mal. Viele Unternehmen haben noch nicht verstanden, dass Digitalisierung lediglich ein Tool ist, und dass es vor allem der Mitarbeiter bedarf, um dieses Tool zu bedienen. Die Mitarbeiter müssen gerade bei der Digitalisierung im Mittelpunkt stehen und mit digitalen Kompetenzen ausgestattet werden. Lebenslanges Lernen war noch nie so nötig wie jetzt. Die Berufs- und Hochschulen müssen dementsprechend auch noch viel mehr digital relevante Kompetenzen in ihren Ausbildungsplan aufnehmen.

Was kann man Menschen raten, deren Arbeitsplätze dem technologischen Wandel praktisch zum Opfer fallen?

Wichtig ist, dass die Politik überhaupt erst mal ein Bewusstsein für diesen technologischen Wandel in der Bevölkerung schafft. Ich habe das Gefühl, viele Menschen wissen überhaupt nicht, wie ihnen geschieht, und haben erstmal Angst vor allem Neuen – und die ist auch hier ein schlechter Ratgeber. Mit einer gewissen Offenheit dem Wandel gegenüber lässt sich auch die Herausforderung der geänderten Jobansprüche bewältigen. Digitalkompetenz ist über alle Arbeitsbereiche hinweg ein Schlüsselfaktor, deshalb sollten sich alle Menschen dementsprechend aus- und fortbilden. Es muss uns nur gelingen, Nutzungsfrequenz nicht weiter mit Nutzungskompetenz zu verwechseln. Das heißt, nur weil jemand oft mit dem Smartphone hantiert, ist nicht gesagt, dass er damit auch gut umgehen kann. Dann ist ein wichtiger Schritt in Richtung digitale Zukunft getan.

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