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Politik machen im Schatten der Angst

Von Julia Harmeling / 20. Januar 2017
Foto: Julia Harmeling

Verschärfte Personenkontrollen und umfassende Überwachung gehören inzwischen auch in europäischen Großstädten zum Alltag. Aber wird eine Demokratie durch die sogenannten Anti-Terror-Maßnahmen tatsächlich wehrhafter?

Ein LKW mit zertrümmerter Windschutzscheibe, Polizisten und trauernde Gesichter, davor in überdimensional-großen Lettern das Wort „Angst!“: So titelte am Morgen nach dem Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz die Bild-Zeitung. Nicht erst seit dem Terrorattentat auf dem Weihnachtsmarkt prägt Angst in all ihren Facetten den gesellschaftlichen Diskurs. Da ist die Unsicherheit, ob Deutschland die Integration der Geflüchteten schaffen wird. Die Zweifel, ob statt Urlaub an der türkischen Küste nicht die Ostsee die sicherere Alternative wäre. Die Furcht, ob der Besuch von Großveranstaltungen und Flughäfen in Zeiten wachsender Bedrohung durch den internationalen Terrorismus nicht besser ganz vermieden werden sollte.

Instrumentalisierte Furcht

Was macht dieses ständige Unbehagen mit einer Gesellschaft? Wird eine Demokratie durch mehr Überwachung und mehr Sicherheit tatsächlich wehrhafter? Oder drohen Angst und Misstrauen die Grundpfeiler unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu zersetzen?

Populistischen Parteien in ganz Europa gelingt es zunehmend, Anschläge für ihre Interessen zu instrumentalisieren, indem sie Ängste und Misstrauen gegenüber allem Fremden und Neuen schüren, dem Staat Versagen und Kontrollverlust vorwerfen und immer drastischere Sicherheitsmaßnahmen fordern. „Deutschland war einmal ein wehrhafter Rechtsstaat und ist heute zur Lachnummer verkommen“, beklagte AfD-Fraktionschef Leif-Erik Holm Anfang Januar im Schweriner Landtag. Deutschland stelle ein schutzloses Einfallstor für islamistische Terroristen dar, die Sicherheitsbehörden unzureichend gerüstet und die Politik in der Defensive. Holm und seine Fraktion fordern vor allem schärfere Grenzkontrollen und die schnellere Ausweisung von straffällig gewordenen Asylbewerbern.

Mit Ideen, wie die innere Sicherheit (vermeintlich) gestärkt werden könnte, steht die AfD nicht alleine da. Seit dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt ist kaum ein Tag vergangen, an dem keine neuen Vorschläge laut geworden sind. Angesichts der nahenden Bundestagswahlen stellen alle Parteien Forderungen – von mehr Überwachungskameras im öffentlichen Raum über eine bessere Vernetzung der Sicherheitsdienste hin zu elektronischen Fußfesseln für Terrorverdächtige.

Verändertes Sicherheitsempfinden

Terroristen wollen Schrecken verbreiten und eine Gesellschaft destabilisieren. Sie schlagen doppelt zu, erst mit physischer Gewalt und dann mit der Angst, die sich in den Köpfen der Menschen festsetzt. Durch Angst verändert sich unser Sicherheitsempfinden, obschon die reale Gefahr, hierzulande durch einen Terroristen ums Leben zu kommen, im Vergleich zu einem tödlichen Autounfall verschwindend gering ist.

Gesetze und Verschärfungen, die vor kurzem noch undenkbar waren, gehen heute nahezu widerstandslos durch den Bundestag. Während noch vor wenigen Jahren über die Abschaffung des Verfassungsschutzes diskutiert wurde, steht nun die Zentralisierung zur Debatte. Als die Vorratsdatenspeicherung beschlossen wurde, war der Widerstand groß. Inzwischen begrüßen die meisten Bürger Umfragen1 zufolge eine stärkere Überwachung im öffentlichen Raum.

Obwohl Videokameras bei der Aufklärung eines Falles hilfreich sein können, können sie nicht die Tat im Vorfeld verhindern. Fußfesseln würden sogenannten Gefährdern den Zutritt zu Flughäfen und Bahnhöfen verwehren – aber ließe sich das auch auf Fußballstadien und Einkaufszentren ausweiten? Nicht alle Sicherheitsvorkehrungen machen eine Demokratie auch wehrhafter. In vielen Fällen müssen Politiker die Verhältnismäßigkeit abwägen, wenn neue Anti-Terror-Gesetze erlassen werden sollen. Sicherheitsmaßnahmen dürfen den freiheitlich-demokratischen Rahmen unseres Zusammenlebens nicht einschränken.

Zwischen Aktionismus und Gefahrenabwehr

Eine einfache und kurzfristige Lösung, wie die Grundbedürfnisse nach Sicherheit und Freiheit gleichzeitig gestillt werden können, wird es nicht geben. Die aktuelle Debatte bewegt sich auf einem sehr schmalen Pfad zwischen hektischem Symbolaktionismus und der Notwendigkeit, die Gefahr von Anschlägen zu minimieren.

Unabhängig davon, ob Angst in der Gesellschaft ein dominierendes Gefühl ist oder nicht: Wie die Bild-Zeitung mit ihrem „Angst“-Titel gezeigt hat, können Gefühle auch herbeigeschrieben werden. Ängste nicht in postfaktischer Manier zu verschärfen, sondern sie anhand der wirklichen Gefahr zu messen – das ist eine der zentralen Aufgaben von Politik, Medien und Gesellschaft. Dabei darf die Deutungshoheit darüber, was und wer zu fürchten sei, nicht rechtspopulistischen Parteien überlassen werden. Das geforderte Vorgehen gegen Fakenews im Netz ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Es geht bei der Debatte um die innere Sicherheit nicht nur um die Bedrohung „von außen“, sondern auch um die Wehrhaftigkeit gegen das Erstarken rechter und rechtspopulistischer Parteien „innen“. Grundpfeiler unserer Gesellschaft wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Toleranz müssen geschützt werden, sowohl vor der physischen und psychischen Gewalt durch Terroristen als auch vor menschenfeindlichen Verbalattacken wie jüngst durch AfD-Politiker Björn Höcke.

1 http://www.tagesschau.de/inland/video-ueberwachung-101.html

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