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Konkurrenzlos lieben

Von Sophie Rieger / 2. März 2017
picture alliance / FotoMedienService | Ulrich Zillmann

Konkurrenz, so suggeriert nahezu jede Liebesgeschichte, hätte auch eine romantische Seite. Stets geht es darum, die oder der Eine zu sein, besser, schöner, in jedem Fall aber liebeswerter als alle anderen. Doch was wäre, wenn sich nicht nur zwei Menschen, sondern drei oder vier lieben dürften?

Polyamorie, das Konzept, mehrere Menschen gleichzeitig zu lieben, bewegt sich vom Rand zusehends in die Mitte der Gesellschaft. Das US-amerikanische Fernsehen strahlte schon im Jahr 2012 mit „Polyamory: Married and Dating“ eine Reality-Show zu diesem Thema aus und erst kürzlich stellte Hollywood-Star Scarlett Johansson das monogame Beziehungsideal medienwirksam in Frage. Auch im deutschsprachigen Raum ist das Thema präsent, beispielsweise in einem kürzlich erschienenen Artikel bei „kleinerdrei“ zu den Schwierigkeiten des polyamoren Outings.

Aber wie funktioniert das eigentlich, Polyamorie? Wie lässt sich der durchaus vorhandene Konkurrenzkampf, denen Liebenden oft ausgesetzt sind, überwinden und zugleich Nähe und Romantik aufrechterhalten?

Liebe braucht sich nicht auf

„Konkurrenz ist da, wo ich denke, dass dieser andere Mensch, der sich für meinen Partner oder meine Partnerin interessiert, mir etwas wegnehmen möchte“, erklärt Christopher Gottwald, Beziehungscoach und Referent für Polyamorie und Sexualität. Diese Form der Konkurrenz, weiß Gottwald aus privater und beruflicher Erfahrung, tritt in jeder Beziehungskonstellation auf, egal wie viele Menschen involviert sind. Aber worum konkurrieren wir eigentlich? Um Liebe?

Dossie Easton und Janet W. Hardy, die Autor_innen von „The Ethical Slut“, dem vielleicht bekanntesten Ratgeber zum Thema Polyamorie, bezeichnen die monogame Beziehungsmoral als „starvation economy“, die Liebe als endliche Ressource annimmt. Nach dieser Logik ist für mich selbst weniger Liebe übrig, wenn mein_e Partner_in neben mir noch einen weiteren Menschen begehrt. Aber, so Easton und Hardy, Liebe sei nicht endlich. Schließlich liebten wir auch Freunde, Familie und Kinder und trotzdem sei unsere Liebe niemals aufgebraucht.

Kommunizieren, nicht konkurrieren

So sieht das auch Andreas, der seit mehreren Jahren polyamor mit einer Haupt- und einer Nebenpartnerin lebt: „Jede von beiden ist ein Mensch mit ganz unterschiedlichen Stärken und Schwächen. Ich möchte auf keine von beiden verzichten!“ Klingt logisch. Aber was ist mit der Konkurrenz?

„Ich glaube, die einzigen Dinge, um die wir wirklich konkurrieren sind Zeit und Aufmerksamkeit“, sagt Lotte*, die ebenfalls seit Jahren in einer offenen Beziehung lebt. „Diese Dinge sind nicht zu vervielfachen, nur weil mehr Menschen da sind.“ Um den Bedürfnissen aller Beteiligten trotzdem gerecht zu werden, braucht es viel Kommunikation. So motiviert Christopher Gottwald seine Klient_innen dazu, sich über ihre eigenen Bedürfnisse klar zu werden und ehrlich darüber zu sprechen: „Alle Gefühle, die hochkommen, sind Geschenke und ich darf sie fühlen und meinem Partner oder meiner Partnerin mitteilen. Da entsteht Verbundenheit.“

Abenteuer in der Panikzone

Ein häufig aufkommendes Gefühl, in polyamoren wie monogamen Beziehungen, ist das, was wir „Eifersucht“ nennen. Aber worum geht es dabei eigentlich? Antonia*, deren offene Beziehung demnächst zu einer offenen Ehe wird, interpretiert Eifersucht vor allem als eine tiefe und irrationale Verlustangst. Lotte sieht das ähnlich, auch wenn sie Eifersucht nicht aus eigener Erfahrung kennt: „Ich stelle mir das wie eine Panik vor, die ins Unkontrollierbare driftet.“

Von Panik, beziehungsweise einer Panikzone, spricht auch Christopher Gottwald. Diese Zone, erklärt er, müsse durch ehrliche Absprachen gemieden werden, um gemeinsam an der Situation wachsen zu können. Und mit „gemeinsam“ meint Gottwald alle Beteiligten. Denn wenn wir den oder die unbekannte Konkurrent_in kennenlernten, so glaubt er, träfen wir einen Menschen mit ähnlichen Sehnsüchten und Ängsten wie wir selbst. „Und dann können wir uns angucken wie wir das Abenteuer gemeinsam gestalten wollen.“ Konkurrenz, so seine Erfahrung, löse sich damit auf. Antonia* spricht in diesem Kontext von „Mitfreude“ statt Eifersucht: „Warum soll ich dieser Frau etwas neiden, wenn ich doch weiß wie schön es für sie ist und dass mein Lover nachher wieder da ist!?“

Aufmerksamkeit schafft Verbundenheit

Auch Lotte begreift das polyamore Setting nicht als Bedrohung, sondern als Chance. Mit ihrem Nebenpartner, glaubt sie, wäre sie nie eine exklusive Beziehung eingegangen, weil ihre Vorstellungen und Wünsche zu weit auseinandergingen. So aber drehten sich ihre Leben nicht ausschließlich umeinander. „Seine Frau ist einfach großartig“, erzählt Lotte, „Und dass sie auf ihn aufpasst, schafft für mich eine total beruhigende Situation.“

Durch Kommunikation und Transparenz werden aus Konkurrent_innen also Mitstreiter_innen, die ihre Beziehungen nicht gegenseitig gefährden, sondern ein stabiles System bilden. Aber wie ist das nun mit der Romantik?

„Romantik lebt vom Augenblick“, meint Lotte, „Natürlich kann ich mir keine romantische Situation vorstellen, in der ich mit einem Mann bei Kerzenlicht sitze und er ständig auf sein Handy guckt, um einer anderen Frau zu simsen. Aber solange die Aufmerksamkeit bei der anwesenden Person ist, kann die Situation genauso romantisch sein.“

* Name von der Redaktion geändert

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