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ProEin Funken Wahrheit

Von Stephanie Jonczyk / 2. Juni 2017
picture alliance / Zoonar | Wodicka FotoTop

Verschwörungstheoretiker haben einen schlechten Ruf. Für gewöhnlich werden ihre Annahmen ignoriert, lächerlich gemacht oder offen angefeindet. Wir sollten sie ernster nehmen.

Wer behauptet, Flugzeuge versprühten Chemtrails und die Erde sei eine Scheibe, gilt als Verschwörungstheoretiker und muss nicht selten Spott ertragen.

Das hat verschiedene Gründe. Zum einen sind etliche Theorien vollkommen unplausibel und stehen im Widerspruch zu überprüfbaren Fakten. Zum anderen agieren die Menschen, die diese Theorien vertreten, nicht selten fanatisch in ihren Ansichten. Eine rationale Diskussion mit ihnen erscheint unmöglich.

Bequeme Ansichten auf komplexe Ereignisse

Zugegeben, viele Verschwörungstheorien simplifizieren ein komplexes Ereignis. Ein intellektuell bequemer Schachzug. Es ist leicht, Krisen und Katastrophen nur auf den Machtwillen oder gar die Bosheit, Unmoral oder Minderwertigkeit einiger weniger Personen oder Personengruppen zurückzuführen und so einen Sündenbock zu finden.

Verschwörungstheorien, die belegbare Realitäten offen anfeinden und versuchen, eine fiktionale Gegenrealität aufzubauen, indem sie Lügen endlos wiederholen und Vernunft durch Glauben ersetzen, sind ganz sicher nicht an Wahrheitsfindung interessiert. Der Philologe Victor Klemperer beschreibt das in seinem Buch „LTI“ als Beginn des Totalitarismus.

Allerdings kommen Verschwörungstheorien nicht aus dem Nichts. Es gibt Verschwörungen, wir nennen sie nur anders. Kartellbildungen zur Preisabsprache sind letztlich Verschwörungen; kriminelle Netzwerke wie die Mafia sind ein weiteres Beispiel. Der englische Begriff „conspiracy“ verdeutlicht es: Neben der Bedeutung „Verschwörung“ lässt sich das Ganze auch als (geheime) „Verabredung“ und „Zusammenwirken“ übersetzen und ist damit präziser als der deutsche, eben weil er weiter gefasst ist.

Verschwörungstheorien können Skandale enttarnen

Die besseren Verschwörungstheorien sind plausibel. Wenn sie mit beweisbaren Fakten untermauert werden können, bilden sie Realität ab. Im günstigsten Fall können sie helfen, Skandale an die Öffentlichkeit zu bringen oder Fehlentwicklungen zu adressieren, die andernfalls unbemerkt geblieben wären.

Schon zwölf Jahre vor dem NSA-Prism-Skandal 2013 galt die Existenz eines globalen Abhörsystems namens „Echolon“, welches von den USA, dem Vereinigten Königreich, Australien, Neuseeland und Kanada betrieben wird, als gesichert.

Dass die CIA an dem Sturz des demokratisch gewählten iranischen Premierminister Mohammad Mossadegh im Jahr 1953 beteiligt war, ist seit 2013 allgemein bekannt, entsprechende Verschwörungstheorien existierten aber schon lange vorher.

Neben derartigen politischen Zusammenhängen verweisen viele Verschwörungstheoretiker auf den Bereich der Kartellabsprachen, die – wenn überhaupt – „meist nur durch unzufriedene Mitarbeiter oder geschädigte Nachfrager aufgedeckt werden“.

Autoglas, Bier, Gasmarkt, Libor, Reißverschlüsse, Wurst, Zucker oder Zement – die Liste der Kartelle mit den höchsten Bußgeldern, die von der Europäischen Wettbewerbskommission verhängt wurden, ist lang. Der überwiegende Teil dieser Kartelle war zwischen 1990 und 2011 aktiv, die Gesamtsumme der verhängten Bußgelder beläuft sich auf etwa 24,3 Milliarden Euro.

Die wenigsten dieser Strafen wären verhängt worden, wenn nicht ein geschädigter Nachfrager eine Verschwörungstheorie gehabt hätte, oder nicht ein Mitarbeiter eine existierende verschwörerische Zustände aufgedeckt hätte.

Zum Wohle der Gesellschaft?

Auch in der Lebensmittel- und Pharmaindustrie kommen immer mehr Affären ans Licht, weil die Konzentration auf Kostenoptimierung oft mangelhafte Produktqualität zur Folge hat. Es ist kein Wunder, dass immer mehr Menschen misstrauisch werden und zu Verschwörungstheorien neigen. Sie sind nützlich, wenn sie dazu führen, dass gefährliche Produkte vom Markt genommen werden.

Widerlegte persönliche Ansichten können aber auch tragische Folgen haben, beispielsweise wenn Eltern ihre Kinder nicht impfen lassen und dadurch die sogenannte Herdenimmunität sinkt. In diesem Fall haben nicht nur Verschwörungstheoretiker erhöhten Zulauf. Dann feiern Krankheiten wie Masern ein überflüssiges Comeback.

 

Lies weiter bei…

Debatte | Suchen Verschwörungstheoretiker nach der Wahrheit?

Contra | Manipulierer müssen verstummen



Eine Antwort zu “Ein Funken Wahrheit”

  1. Von Clara am 12. Juni 2017

    Ich würde mich über eine Arbeitsdefinition von „Verschwörungstheorie“ freuen. Und wie ändert sich die Bezeichnung einer Theorie, die sich hinterher als wahr herausstellt? Meiner Meinung nach sollte die Theorie in diesem Fall (wie z.B. beim Fall Mossadegh) nicht mehr als Verschwörungstheorie bezeichnet werden, denn sie hat sich bewahrheitet.

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