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DebatteLesen lassen?

Von Luan J. Kreutschmann / 4. August 2017
picture alliance / Ulrich Baumgarten | Ulrich Baumgarten

Um die Vorteile und Risiken des digitalen Lesens richtig einschätzen zu können, müssen wir wissen, wie genau die Art des Lesens dieses selbst beeinflusst. Ergebnisse dazu sind jedoch alles andere als eindeutig.

Digitale Technologien ziehen seit Jahren in sämtliche Bereiche unseres Alltags ein, auch in vermeintlich rein analoge Sphären wie die des Bücherlesens. 2016 gingen laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels rund 27 Millionen Ebooks über den virtuellen Ladentisch. Die Diskussion über Potentiale und Nachteile digitaler und des analoger Lesarten kommt lediglich zu dem Schluss, dass beide Formen Vorzüge haben. Lesen lohnt sich – immer! Aber welches Lesen führt eher zum „Erfolg“?

Die Macht des Mediums

Seit den 1980ern haben sich Psychologie, Kognitionswissenschaft, Informatik und angrenzende wissenschaftliche Disziplinen mit den Effekten der Digitalisierung auf neuronaler Ebene beschäftigt. Fragen, die dabei hinsichtlich des Lesevorgangs untersucht wurden, lauten etwa: Beeinflusst das Medium, durch das wir einen Text wahrnehmen, wie wir den Text selbst verstehen und interpretieren? Braucht unser Gehirn eine bestimmte Form von Medium, um Texte schneller, genauer, ressourcenschonender verarbeiten zu können? Kann die digitale oder analoge Textgestalt Einfluss auf den Gedächtnis- oder Verständnisoutput nehmen?

Während die meisten Studien vor 1992 vor allem Vorteile des Lesens auf Papier herausstellten, kommen die neueren Analysen seither zu keinem eindeutigen Ergebnis.

Es ist immer noch wenig darüber bekannt, wie das Gehirn gedruckte Sprache aufnimmt. Studien haben gezeigt, dass in vielen Situationen jeder Buchstabe als einzelnes Objekt erkannt und verarbeitet wird. In anderen Kontexten nimmt der Leser den gesamten sichtbaren Text als zusammenhängende „Landschaft“ auf. Wovon diese Verarbeitung abhängt und ob die mentalen Repräsentationen, die bei der Lektüre entstehen, auch von weiteren Einflussgrößen bedingt werden, ist noch ungeklärt.

Wiederholen fördert das Leseverständnis

An der Verarbeitung und Interpretation eines gelesenen Werkes sind verschiedene Hirnregionen und Prozesse beteiligt, die in einer komplexen Wechselwirkung zueinander stehen. Vielleicht ermöglicht digitales Lesen eine vereinfachte und schnellere Informationsverarbeitung, wie manche Studien nahelegen. Doch das Wissen darüber, „wo ich gerade im Text bin“ und „an welcher Stelle was steht“ – eine Kompetenz, die eher mit dem Lesen eines Buches verknüpft ist – könnte abhängig vom jeweiligen Ziel des Lesens genauso wichtig oder sogar wichtiger sein.

Wenn also elektronische Lektüre zwar einen Parameter zur Aufnahme von Leseinformationen vorteilhaft beeinflusst, aber eine andere zum Textverständnis nützliche Einflussgröße eliminiert, ist das nicht gut oder gar besser für das Gehirn als das analoge Lesen.

Eine Studie aus dem Jahr 2016 belegt dies: Wenn Eltern mit ihren Kindern lesen und dabei mit ihnen darüber sprechen, diskutieren sie bei Ebooks eher das Medium selbst und bei einem Buch eher dessen Inhalt. Weil ein Wiederholen des Gelernten nachweislich für eine Festigung des Wissens sorgt, würde die möglicherweise bessere Informationsaufnahme durch das elektronische Medium dadurch eingeschränkt, dass das Gelesene wahrscheinlich nicht wiederholt wird.

Mit dem elektronischen Lesen sind außerdem einige ethische Fragen verknüpft. Die Technologie könnte verwendet werden, um etwa gehörgeschädigten Kindern und Jugendlichen einen barriereärmeren Zugang zu Texten zu verschaffen.

Jenseits biologischer Betrachtungen

Lesen gehört die Zukunft. Jedoch wissen wir bislang zu wenig, um schlussfolgern zu können, welches Leseverhalten oder welches Medium „gut für das Gehirn“ sind. So lange das der Fall ist, bleiben andere Gründe – wie persönliche Präferenzen – für die Wahl des Mediums maßgeblich. Man kann zu unterschiedlichen Meinungen kommen und ziemlich gute Gründe dafür haben.

Selbst wenn irgendwann neurologische Vorzüge bekannt werden, bleibt die Frage, ob das, was für das Gehirn als biologische Gegebenheit gut ist, auch für den Menschen als geistiges und soziales Wesen vorteilhaft ist. Schließlich befindet sich das Gehirn zwar im Kopf, aber dieser Kopf befindet sich in einer Welt, in der es noch analoge Buchläden und Zu-verschenken-Bücherkisten gibt. Vielleicht aber bald nicht mehr, wenn wir nur noch digital lesen.

 

Lies weiter bei…

Pro | Papier statt PDF

Contra | Digital ist dope



2 Antworten auf „Lesen lassen?“

  1. Von Sebastian S. am 9. August 2017

    Außerdem sehen gefüllte Bücherregale viel geiler aus, als ein Kindle auf dem Wohnzimmertisch.
    Und der Geruch von altem Papier ist sowieso unschlagbar 🙂

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