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„Roboter werden in der Pflege keine Menschen ersetzen“

Von Christina Mikalo / 12. Dezember 2017
picture alliance / PantherMedia | Valeriy Kachaev

Der Mediziner Michael Forsting vom Universitätsklinikum Essen gilt als Vorreiter in Sachen Künstliche Intelligenz. Im Interview spricht er über leistungsstarke Algorithmen und die Sorge vor Roboter-Ärzten.

Sagwas: Professor Forsting, welche Arten Künstlicher Intelligenz (KI) nutzen Sie am Uniklinikum?

Michael Forsting: Wir haben eine Software, die darauf trainiert wurde, die Frühzeichen eines Schlaganfalls in der Computertomographie zu erkennen. Die ist zwar noch nicht perfekt, aber schon ziemlich gut und unterstützt gerade die noch nicht so erfahrenen Kollegen immens. Selbst entwickelt haben wir Anwendungen zur Erkennung von seltenen Lungenerkrankungen, zur besseren Charakterisierung von Lungenkrebs, zur Identifikation von unterschiedlichen Formen des Gebärmutterhalskrebses und für die Nachsorge von Patienten mit Leberkrebs.

Glaubt, dass Therapie-Empfehlungen demnächst über Algorithmen ablaufen werden: Neuroradiologe Michael Forsting (Foto: Michael Forsting)

Das klingt so, als seien Sie schon sehr fortgeschritten im Bereich KI. Gilt das auch für die restliche deutsche Medizinbranche?

Sie steht noch in den Startlöchern. Das Problem sind nicht die Algorithmen – die sind öffentlich verfügbar. Das Problem besteht darin, dass Sie KI-Systeme mit hochvaliden Daten trainieren müssen. Die aufzutreiben ist schon deutlich schwieriger. Ein Beispiel: Wenn Sie ein System auf das Erkennen von Brustkrebs trainieren, müssen Sie sicher sein, dass auch auf allen Datensätzen wirklich ein Brustkrebs zu sehen ist – und nicht etwa eine entzündliche Veränderung. Wenn Sie ein System mit Datensätzen trainieren, in dem nicht alle Diagnosen gesichert sind, dann kann es nicht gut sein.

Sind die Mediziner in anderen Ländern in dieser Hinsicht besser aufgestellt?

Weltweit haben Mediziner Probleme damit, valide Datensätze für das Training von KI-Systemen zu bekommen. Man muss aber auch klar sagen, dass Deutschland nicht unbedingt eine Vorreiterstellung in der Nutzung Künstlicher Intelligenz hat. In China beispielsweise gibt es viele Startups, die die Bedeutung der digitalen Transformation für die Medizin erkannt haben und Systeme trainieren.

Gibt es neben der Beschaffung von guten Datensätzen noch weitere Hürden, die den Einsatz von KI hemmen?

Bislang nicht. Theoretisch könnten Datenschutzbestimmungen der Entwicklung im Weg stehen. Allerdings enthalten die eigentlichen KI-Anwendungen gar keine Patientendaten, sodass Datenschutzprobleme am Ende gar keine Rolle spielen dürften. Wir müssen uns aber auch über ethische Probleme Gedanken machen, die in Zukunft auftreten könnten. Irgendwann wird es intelligente Algorithmen geben, die erkennen können, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit bei einem Unfallopfer minimal ist. Das bemerkt ein routinierter Notfallmediziner in der Regel zwar auch. Trotzdem könnte ein Hinweis aus einem intelligenten System ihn stärker beeinflussen als seine eigene Sichtweise.

Das könnte man als Nachteil oder Risiko dieser neuen Entwicklung betrachten. Welche konkreten Vorteile gibt es?

Die Qualität der medizinischen Diagnostik wird durch Künstliche Intelligenz verbessert. Die Systeme können auf seltene Erkrankungen trainiert werden, die der einzelne Arzt vielleicht noch nie gesehen hat und deshalb auch nicht erkennen kann. Außerdem werden solche Systeme viele Routineaufgaben übernehmen können, zum Beispiel das Ausmessen von Organverletzungen auf CT- oder MRT-Bildern. Zudem können die Systeme in Screening-Programmen unzählige Bilder angucken, ohne dabei – wie Menschen – zu ermüden.

Künstliche Intelligenz ist also im Prinzip für alle medizinischen Bereiche hilfreich.

Sie ist in allen diagnostischen Disziplinen anwendbar, also im Labor, in der Radiologie, der Pathologie, aber auch beim Erheben der Krankengeschichte von Patienten. Ich glaube, dass auch Therapie-Empfehlungen demnächst über Algorithmen ablaufen werden. In der Krebsforschung ist es schon heute schwierig, den Überblick über die unterschiedlichen Therapien bei einzelnen Tumoren zu behalten. KI-Algorithmen wären immer auf dem neuesten Stand der Wissenschaft und könnten damit auch Laien Empfehlungen geben. Zudem wird die Medikamentenentwicklung erheblich von KI profitieren, denn dabei spielen molekulare Prozesse eine Rolle. Algorithmen können in diesen viel schneller bestimmte Muster erkennen als das menschliche Gehirn.

Werden Roboter das medizinische Personal irgendwann ersetzen?

In absehbarer Zeit kann ich mir das nicht vorstellen. KI-Algorithmen können vor allem Routinen übernehmen. Nehmen wir nochmal das Screening, meinetwegen Lungenkrebs. Ein KI-Algorithmus kann darauf trainiert werden, Lungenrundherde – „Schatten“ auf der Lunge – zu erkennen und erfüllt damit seinen Zweck. Der gleiche Algorithmus wird aber keine Tuberkulose erkennen. Deshalb sollte ein Mensch die Diagnose noch einmal nachträglich überprüfen.

Wie sieht’s in der Pflege aus?

Auch in der Pflege werden Roboter keine Menschen ersetzen. Sie werden zunächst dort eingesetzt werden, wo Kraft nötig ist, dann vielleicht Transporte übernehmen. Vielleicht können sie Patienten auch unterhalten. Aber ich kann mir – zumindest noch – nicht vorstellen, dass ein Roboter eine Diagnose oder Therapie mit dem Patienten bespricht. Aber klar: Irgendwann ist der Mensch vielleicht so weit, dass er auch das gut findet.

KI wird in der Öffentlichkeit oft noch mit Skepsis betrachtet. Zu Recht?

Neuerungen sollte man immer kritisch angucken, aber man sollte sie eben auch angucken – ansonsten gäbe es ja keinen Fortschritt. Wo dann am Ende herkömmliche oder digitale Methoden größere Erfolge versprechen, wird man aber nur herausfinden, wenn man die KI einsetzt. Generell gilt: KI-Methoden werden sich nur durchsetzen, wenn sie die Qualität der Behandlungen steigern.

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